Ohne Herz und Moral

Die Verrohung der Gesellschaft schreitet voran. USA: filmend amüsieren sich Teenager über einen Ertrinkenden anstatt ihm zu helfen. Deutschland: auf der A3 pöbeln Gaffer Polizisten an, die sich zur Unfallstelle durchschlagen müssen, weil mal wieder keine Rettungsgasse gebildet wurde. Bayern: da sehen Menschen zu, wie eine junge Syrerin in einen Weiher stürzt und zu ertrinken droht, erst ein kleiner Junge holt Hilfe. Die Frau kann gerade noch gerettet werden und auch da stehen Schaulustige den Rettungskräften im Weg.

Warum tun Menschen sowas? Vor allem sind wir als Gesellschaft schon so verroht, dass wir das einfach akzeptieren? Das wir mitmachen, in dem wir wegsehen? Vielen sind die Klicks bei YouTube inzwischen wichtiger, als das Leben eines Menschen.

Jeder ist sich selbst der Nächste. Es zählt nur noch das eigene Wohl, in einer Umwelt die zunehmend außer Kontrolle gerät. Was wundern wir uns noch, wenn Flüchtlinge attackiert, wenn Alte, Kranke und Schwache vereinsamen. Das Leben der meisten findet doch schon seit langem nur noch im Internet statt. Die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt verschwimmen, Hemmungen fallen wie Barrieren. Werte wie moralisches Denken, gehen im Erfolgsdruck unter. Schulen sind schon lange kein Garant mehr für humanistische Erziehung. Humanisten wie Heinrich Böll würde im Grabe rotieren.

Das einzige was wir dagegensetzen können, ist das Fähnchen der Menschlichkeit hochzuhalten: kleine Gesten, wie ein Bitte oder Danke oder einen freundlichen Gruß einfordern, auch wenn es einem dumm vorkommt. Denn all die herzlosen Idioten müssen begreifen, dass auch sie irgendwann die Hilfe eines anderen brauchen werden.

Vom Sinn eines Gipfel

Hat eigentlich schon mal jemand eine Kosten-Nutzen-Rechnung nach einem Gipfeltreffen gemacht. Ich frage mich: Egal ob G20 oder G7 – bringt uns das soviel, wie es uns kostet? Oder sind die Beschlüsse nicht vielmehr nur heiße Luft? Da wird doch nur über den heißen Brei geredet, ohne ihn zu essen. Wenn man bedenkt, wieviel Aufwand man für einen G20-Gipfel betreibt. Flughäfen und ganze Stadtteile sperrt, tausende Polizisten mobilisiert, um eine Handvoll Leute zu schützen. 33 Millionen wurden schon im Voraus in Hamburg ausgegeben. Die Schäden durch die gewaltbereiten Idioten nicht mit eingerechnet.

Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen dagegen protestieren. Und das Randalierer solche Veranstaltungen ausnutzen, ist inzwischen auch nichts neues. Ich habe mir gleich gedacht: ob es eine so gute Idee war, den G20-Gipfel ausgerechnet in Hamburg stattfinden zu lassen? Vielleicht wäre es in München nicht so ausgeartet … nun man weiß es nicht.

Mich ärgert vielmehr, dass solche Gipfeltreffen so extreme Kosten verursachen. Man könnte mit dem vielen Geld, das in eine solche Veranstaltung gesteckt wird, sinnvolleres bewirken. Wäre es nicht besser für die Welt, wenn Gipfeltreffen in Zukunft per Videokonferenz stattfinden? Da spart man nicht nur beim Sicherheitsbudget, sondern auch am CO2-Ausstoß, denn die Staatsgäste wurden allesamt eingeflogen.

Ich bin mir sicher, dass die Welt nach dem G20-Gipfel in Hamburg nicht besser geworden ist, nur weil sich ein paar Staatsoberhäupter getroffen haben, um sich unter anderem Beethoven anzuhören. Der Verdacht liegt nahe, dass man den Gipfel nur in Hamburg stattfinden ließ, um mit der Elbphilharmonie zu prahlen.

Ich wette, das die großartige Abschlusserklärung, die verabschiedet wurde, in einem halben Jahr nicht mehr das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt wurde. Während die Schäden an Mensch, Material und Image noch sehr lange nachwirken. Ohne den G20 hätte es für die Hamburger, die Polizisten und auch die Demonstranten ein schönes Sommerwochenende werden können.

Der Betrug am Gast

Wie viele andere Menschen gehen auch mein Mann und ich gern Essen. Nicht zu oft, aber doch mindestens einmal im Monat. Hin und wieder habe ich hinterher mit meiner Verdauung zu kämpfen. Das habe ich meistens, wenn Hefeextrakt im Essen war. Das ist eine Zutat, die eigentlich nicht in frisch zubereitetes Essen gehört und daher kamen mir nach dem Besuch der einen oder anderen Gaststätte Zweifel, ob dort alles tatsächlich frisch gekocht wird.

Das Geheimnis vieler Gaststätten heißt nämlich Convenience Food. Industriell vorgefertigte Zutaten oder sogar fertiges Essen, das nur noch aufgewärmt werden muss. Wie schlimm die Situation in Deutschland in Sachen Convenience Food in der Gastronomie tatsächlich ist, darüber klärte mich dieser Tage eine Dokumentation vom NDR auf. Achtzig Prozent der Restaurants verwenden Fertigprodukte, vorwiegend Saucen, Brühe oder Kartoffelprodukte. Und dabei ist es egal, ob man in ein einfaches Bistro oder ein Sternelokal geht.

Zwischenzeitlich standen mir bei dem Beitrag echt die Haare zu Berge. Oh Mann! Da zahlt man mitunter irrsinnige Summen für ein Schnitzel und dann stammt es aus einer Fabrik in Rumänien. Und woher die Eierscheiben in den Sandwichs diverser Imbiss-Ketten an den Bahnhöfen kommen, weiß ich jetzt auch.

Am Besten sollte sich jeder, der gern Essen geht, den Film selbst anschauen.

https://m.youtube.com/watch?v=JFSJ54S38po

Geduldsprobe beim Bücherkauf

Alle schimpfen über Amazon. Aber für jemanden wie mich, der auf dem Land wohnt (heute mehr, als noch vor ein paar Monaten), dem bleibt im Grunde nicht viel übrig als online einzukaufen. Ganz einfach, weil es keinen richtigen Buchladen im Ort gibt. Es existiert nur so eine Art »Gemischtwarenladen« mit Spielzeug, Schreibwaren und ein paar Bestsellern und Kinderbüchern. Weil ich nicht nur dem Branchenriesen mein Geld in den Rachen werfen will, bestelle ich halt öfter auch mal bei anderen Online-Händlern oder gleich auf der Antiquariatplattform Booklooker. Ein Händler, bei dem ich schon sehr lange Kunde bin, ist Jokers – das ist ein Ableger von Weltbild. Bei denen habe ich schon Bücher gekauft, als Amazon auf dem deutschen Markt noch nicht so präsent war.

Bei Jokers war Bücher kaufen einfach. Man bekam einen schicken Katalog, bestellte telefonisch oder mit Postkarte und bekam eine Woche später seine bestellten Bücher. In den vergangenen Jahren hatte Weltbild immer mal wieder mit Insolvenzen zu kämpfen, aber Jokers blieb all die Zeit über bestehen. Noch heute bekomme ich regelmäßig einen Katalog, und weil sich inzwischen der Verkauf auch ins Internet verlagert hat, auch jeden Tag einen Newsletter mit Buchangeboten.

Hin und wieder finde ich dort ein interessantes Buch oder auch mehrere und bestelle sie dann online. Anfangs hat das auch alles gut geklappt, doch in den vergangenen Jahren ließ die Zuverlässigkeit zu wünschen übrig. Besonders ärgerte es mich, wenn ich meine drei bestellten Bücher in drei separaten Lieferungen bekommen habe. Einmal bekam ich eine Lieferung, die ich gar nicht bestellt hatte. Da klebte der Zettel mit meiner Adresse auf dem Paket, aber der Inhalt und die beilegende Rechnung war für jemand anderen. Und ich hatte auch stets das Gefühl, dass es immer länger dauerte, bis mich meine bestellten Bücher erreichten.

Bei meinen aktuellen Bestellungen frage ich mich allerdings, was da los ist:

Am 28.4. bestellte ich drei Bücher. Zwei davon bekam ich in der ersten Maiwoche auch geliefert. Im Paket befand sich nur der Lieferschein über die zwei Bücher, aber keine Rechnung, die sollte ich später online bekommen. Ich wartete. Am 8.5. bekam ich eine E-Mail, in der ich um Geduld gebeten wurde, weil sich die Lieferung noch verzögert. Am 17.5. kam die Rechnung über die drei Bücher. Weil ich das eine davon immer noch nicht bekommen hatte, bezahlte ich erst einmal nicht. Am 31.5. kam dann die Lieferankündigung mit DHL-Link über die drei Bücher, die ich bestellt hatte. Da fragte ich mich, ob die nochmal alle drei Bücher verschicken würden. Nun waren wir zu dem Zeitpunkt im Urlaub und weil ich schon mal schlechte Erfahrungen gemacht habe, lasse mir die Lieferung von Jokers immer zu meinen Eltern nach Thüringen schicken. Ich klickte auch nicht auf den Link in der E-Mail. Weil ich das grundsätzlich nicht mache und weil ich annahm, dass das alles seine Richtigkeit haben wird. Aus dem Urlaub zurück, beschlich mich das schlechte Gewissen und ich bezahlte endlich die Rechnung. Und bestellte auch gleich drei neue Bücher. Als ich dann zu meinen Eltern fuhr: Ernüchterung! Das fehlende Buch war nicht gekommen. Ich gab die Sendungsnummer bei DHL ein – Unbekannt. Das hieß, die von Jokers hatten die Lieferung niemals abgeschickt. Also versuchte ich den Kundenservice anzurufen: drei Mal vergebliches Warten in der Warteschleife (nach 15 Minuten war meine Geduld am Ende).

Am 8.6. irgendwann kurz vor 22 Uhr hatte ich dann jemanden am Telefon. Die Mitarbeiterin war selbst etwas verwirrt über das Chaos in meinen Bestelldaten und meinte, dass die Lieferung des fehlenden Buches wohl erst am 7.6. rausgegangen wäre. Sicher war sie sich aber nicht, und ich sollte doch in einer Woche nochmal anrufen, wenn bis dann nichts gekommen ist. Ich fragte, was mit meiner zweiten Bestellung wäre, die ich am 2.6. aufgegeben hatte. Sie meinte, dass sich die Lieferung noch um zwei Wochen verzögern könnte, weil das Lager umzieht. Oha, drei Wochen Lieferzeit für drei Bücher? Interessant! Zum Glück, hatte ich keine Geburtstagsgeschenke bestellt. Am 12.6. bekam ich wieder die obligatorische Entschuldigungs-Mail, dass sich die Lieferung verzögert. Ich sollte doch Geduld haben. Am 17.6. bekam ich die Versandankündigung für die zweite Bestellung. Wenige Minuten zuvor hatten mich aber bereits meine Eltern darüber informiert, dass ein Paket gekommen ist. Ich bat sie, es auszupacken. Es war die zweite Bestellung, aber nicht das fehlende Buch. Besonders spannend fand ich aber die Rechnung, die dem Paket beilag und auf der stand, dass diese Rechnung bis zum 16.6. bezahlt werden müsste. Das war aber gar nicht möglich, weil das Paket erst am 17.6. eingetroffen war. Am Samstag rief ich dann zum zweiten Mal den Kundenservice an (kostet übrigens jedesmal 20 Cent aus dem Festnetz und 60 Cent aus dem Mobilfunknetz). Irritierenderweise hatte ich sofort jemanden am Apparat. Es stellte sich heraus, dass das Computersystem ausgefallen ist und sie derzeit keine Vorgänge bearbeiten können. Ich sollte es nochmal in zwei Stunden versuchen. Zwei Stunden später … Richtig, da kam ich wieder nicht durch.

Heute morgen zwei Minuten nach Sieben Uhr der nächste Versuch. Ich kam tatsächlich durch. Nur wollte die Bearbeiterin alles mögliche von mir wissen, bevor sie überhaupt auf mein Anliegen einging. Sie fragte mich, ob ich einen Hund hätte und ob sie mir ein Miniabo für den STERN schenken können und wie es bei mir mit einer Zahnzusatzversicherung aussieht.

HALLO! Ich wollte doch nur wissen, wo das Buch bleibt, dass ich vor fast acht Wochen bestellt und auch schon bezahlt habe.

Das Buch wäre noch lieferbar, sie könne es ja nochmal für mich bestellen, wenn ich wollte.

JA, verdammt nochmal, ICH WILL!

Es könne aber etwas dauern, weil es ja wegen dem Umzug derzeit zu Verzögerungen kommt …

Grrr! Ganz ehrlich, wenn ich wieder ein Buch brauche, dann bestelle ich das demnächst bei Amazon. Dann ist es meist in zwei oder drei Tagen da und ich bezahle nicht mal Versandkosten. (Bei Jokers sind Bestellungen erst ab 20 EUR versandkostenfrei.) Außerdem bleibt mir das ganze HickHack mit dem Kundenservice erspart.

Wenn ich bedenke, dass ich jetzt mehr als acht, vielleicht neun Wochen auf ein Buch warten musste … in der Zwischenzeit hätte ich es längst gelesen oder vielleicht sogar geschrieben.

Nachtrag: Gerade eben kam eine E-Mail, dass das bestellte Buch restlos ausverkauft ist und nicht nachgeliefert werden kann. Sehr schön!

(K)ein IKEA-Kaffee …

Da fahren wir alle fünf Jahre einmal zu IKEA (weil mein Mann das Möbelhaus meidet wie die Pest), kaufen drei Bretter für mein IVAR-Regal und wollen anschließend nur einen Kaffee trinken und einen Muffin essen, weil wir noch ein wenig Zeit haben und dann …

»Ich glaub, die Maschine ist in Reinigung«, teilt mir die Dame an der Theke hinter der Kasse mit.

Ich sehe sie fragend an. »In Reinigung?«

Sie rennt weg, kommt nach einer Minute zurück und nickt dann bestätigend: »Ja, die Kaffeemaschine ist noch in Reinigung.«

»Und wie lange dauert das?«

»20 Minuten. Wollen Sie dann trotzdem den Muffin kaufen.«

»Ähm!« Ich bin so perplex, dass ich erstmal nicht reagiere. Es ist Samstagmittag 13 Uhr, der Laden ist voll; draußen auf dem Parkplatz, stehen die Autos dicht an dicht; hinter mir Leute mit Einkaufswägen, die hungrig darauf warten, bedient zu werden und es gibt in diesem riesigen Laden scheinbar nur eine Kaffeemaschine, die gerade jetzt gereinigt werden muss und dann auch noch 20 Minuten lang …

»Was ist jetzt, wollen Sie den Muffin oder nicht.«

»Nein Danke, ohne Kaffee möchte ich nichts«, antworte ich und gehe.

Auf dem Parkplatz verhöhnt mich eine große Werbetafel auf der für BIO-Kaffee im IKEA-Restaurant geworben wird. Nun ja, nur dann, wenn nicht gerade die Maschine gereinigt werden muss.

Geplatzt!

Gestern Abend platzte völlig unerwartet unser Traum vom eigenen Haus. Seit zwei Wochen waren wir an einem Objekt dran, dass genau unseren Bedürfnissen entsprach und nicht zu teuer war. Wir sprachen mit Maklern, Bankangestellten, Finanzberatern und gestern Vormittag noch mit einem Anwalt, der den Kaufvertrag geprüft hat. Wir unterschrieben einen Kreditvertrag bei der Sparkasse, sichteten den Entwurf des Kaufvertrages und vereinbarten einen Notartermin. Weil wir am 26.5. auf den Weg nach Osnabrück waren, einigten wir uns mit der Maklerin auf den 30. Mai.

Gestern Abend kam dann eine E-Mail von der Maklerin, ob wir Fragen zum Vertrag hätten. Ich beging den Fehler und rief sie zurück. Sie druckste etwas herum und rückte nach und nach heraus, dass sich der Verkäufer mit der Entscheidung nicht Wohl fühle. Seine Tochter bewohnt nämlich mit drei Kindern das Haus und sie hätte ausziehen müssen, was wiederum den niedrigen Kaufpreis erklärte. Weil ihm der Nachbar aber versprach, dass seine Tochter wohnen bleiben kann, wollte er sich nun für ihn als Käufer entscheiden, obwohl er bei dem Geschäft mehrere zehntausend Euro Verlust machen würde.

Wir waren zunächst mal sprachlos und später dann völlig aufgelöst. Man richtet sich ja gedanklich schon mal ein, wenn man ein Haus kauft. Denn die Bestätigung, dass wir die Käufer sein würden, schien seit einer Woche festzustehen. Es war ja auch schon alles fertig: Finanzierung und Vertrag. Und jetzt fiel diesem Menschen ein, dass er doch nicht wollte …

Ich war sauer. Die Maklerin versuchte uns zu beruhigen. So einen Fall, hatte sie bisher auch noch nicht gehabt. Sie versprach uns, nochmals mit dem Verkäufer zu reden.

Heute morgen dann die ernüchternde Bestätigung. Der Verkäufer war nicht auf ihre Anrufe eingegangen, sondern schickte eine E-Mail, in der stand, dass er das Haus lieber an den Nachbarn verkaufen will. Damit seine Tochter wohnen bleiben kann.

Es ist einerseits verständlich, aber dann hätte er das von vornherein sagen müssen und die Immobilie nur als Investitionsobjekt ausschreiben dürfen. Oder zumindest sich nicht erst für uns entscheiden und eine Woche später seine Entscheidung zurückzuziehen. Es für einen Spottpreis an den Nachbarn zu verkaufen, unter dem Vorwand, dass dieser die Tochter wohnen lässt, ist in meinen Augen kein kluger Schachzug. Denn wer kauft schon ein Haus aus Nächstenliebe? Ich bin mir sicher, in ein paar Jahren klagt der Nachbar auf Eigenbedarf und die Tochter fliegt mit ihren drei Kindern raus. Dann verkauft er das Haus für hunderttausend Euro mehr, als er bezahlt hat. So viel ist es nämlich momentan wirklich wert (im leeren Zustand). Die anderen beiden Töchter, die von dem Hausverkauf ausbezahlt werden, werden sich bedanken, wenn sie jemals dahinter kommen.

Ich frage mich, was wir angestellt haben, dass bei uns nie mal etwas normal ablaufen kann. Wir sind einfach nur maßlos enttäuscht, traurig und sprachlos …

Ich mach‘ mir die Welt …

… Widdewidde wie sie mir gefällt …

Die Passage aus dem Kinderlied von Pipi Langstrumpf scheinen sich die Stadtoberen meiner Heimatstadt zu Herzen genommen zu haben. Anders kann man es sich nicht erklären, was da gerade passiert.

Wie immer geht es dabei … richtig … ums liebe Geld. Um Geld, das in die Modernisierung einer Straße fließen soll. Seit Jahren werden von den Städten hierbei vor allem die Anwohner zur Kasse gebeten. Und dabei heißt es, je größer das Grundstück, umso größer der Beitrag, den jeder zahlen muss. Daran sind schon so einige Existenzen zugrunde gegangen.

Der neueste Coup, ist aber fast schon als Zwangsenteignung anzusehen.

In besagter Straße, die sich in einem dörflich geprägten Stadtteil befindet, liegt ein großer Garten mit Obstbäumen, der sich idyllisch entlang eines kleinen Baches schmiegt. Er wird seit vielen Jahren von seiner Besitzerin gehegt und gepflegt. Nun soll die Straße saniert werden. Weil aber das Grundstück als Garten ausgewiesen ist, müsste die Besitzerin der Stadt nur 1.000 Euro für den Straßenbau überweisen. Weil das für die Stadt natürlich viel zu wenig ist, hat jetzt ein findiger Beamter das Grundstück der Besitzerin kurzerhand zu Baugrund ernannt, ohne die Dame auch nur zu fragen. Die ist jetzt im Besitz von Baugrund für zwei Mehrfamilienhäuser, obwohl sie niemals etwas bauen, sondern eigentlich weiter ihren Garten bewirtschaften wollte. Dafür soll sie jetzt Straßengebühren von 18.000 Euro an die Stadt überweisen.

Da sie die Summe nicht aufbringen kann, muss sie nun ihren Garten verkaufen. Als Baugrund zwar, der ein paar Euro mehr einbringt, als es der Garten getan hätte. Aber eigentlich hätte sie lieber ihren Garten behalten. Und auch den Anwohnern gefällt das nicht. Denn nun wird über kurz oder lang das Ensemble aus Bauernhäusern und Gärten von protzigen Neubauten zerstört. Und das nur wegen 17.000 Euro.

»2 x 3 macht 4 – widdewiddewitt und 3 macht 9e!«, heißt das Einmaleins aus Pippi Langstrumpfs Lied. Das Rechenexempel der Stadtväter scheint in gleicher Weise zu funktionieren, denn die machen aus 1.000 schnell mal 18.000 Euro. Streng nach dem Motto: »Ich mach‘ mir die Welt – wie sie mir gefällt.«

Die Probleme des Heers

Die Bundeswehr hat ein Hitzeproblem, las ich derzeit in den Nachrichten. Bei ihrem UN-Einsatz in Mali sei nur die Hälfte der Fahrzeuge einsatzbereit, die Hubschrauber dürfen bei mehr als 43° C nicht starten, weil sie nur bis zu dieser Temperatur zugelassen sind. Aber auch beim Nachschub klemmt es. Da werden die aus Deutschland anreisenden Kameraden vor ihrer Reise schnell noch zum Mercedeshändler um die Ecke geschickt, um ein paar Keilriemen für die »Wölfe« mitzubringen.

Da frage ich mich, was das für ein Licht auf ein Land wirft, wenn es kaum in der Lage ist, die Auslandseinsätze seiner Soldaten materialmäßig abzusichern. Es müsste den Politikern zu denken geben. Vielleicht sollten wir einfach nicht mehr bei jedem UN-Einsatz »hier« schreien, denn es sind zu viele geworden in letzter Zeit. Außerdem ist die Bundeswehr nie für Einsätze wie den in Mali vorgesehen. Die Ausrüstung wurde nach Normen gefertigt, die für unsere Breiten gedacht sind und nicht für die afrikanische Wüste.

Die Bundeswehr soll Deutschland verteidigen. Ich sage nicht, dass wir uns jetzt überall zurückziehen sollten. Im Zuge der Globalisierung verschoben sich nicht nur die Grenzen, sondern es entstanden viele neue Krisenherde, an denen wir Europäer nicht ganz unschuldig sind. Nun versucht man die Brandherde zu löschen, bevor uns ihre Ausläufer erreichen.

Dass dies nicht mit der derzeitigen Ausstattung geht, hätte man viel früher erkennen müssen, frühestens beim Einsatz in Somalia und Jugoslawien Anfang der Neunziger. Wenn die Politik die Aufgaben der Bundeswehr ständig erweitert, hätte sie dafür sorgen müssen, die Truppe dementsprechend auszustatten. Und vielleicht sollten man in dem Zuge auch mal die engen Vorschriften überdenken und nicht Bundeswehr-LKWs in Afghanistan stilllegen, nur weil der TÜV abgelaufen ist. Sicher geht es hier um die Sicherheit der Soldaten, aber ist es wirklich ein so großer Unterschied, ob ein Hubschrauber bei 43° oder 45° C startet?

Einschränkender Sicherheitswahn

Unser Osterspaziergang führte uns heute Morgen über verbotene Pfade.

Der beliebteste Wanderweg der Stadt, der sich in einem Tal entlang eines kleinen Baches mitten durch die Stadt zieht, ist schon seit Jahren für Fußgänger gesperrt, eigentlich! Aber die Saalfelder halten sich nicht daran, verständlicherweise, denn der kleine Weg ist zu urig und bietet Natur pur. Der Bachlauf hat sich über Jahrhunderte in den Sandstein gegraben und plätschert in kleinen Kaskaden dahin, drumherum stehen alte Bäume und im Frühjahr sind die Hänge mit bunten Blumen und frischem Grün bedeckt. Ein Idyll, das die Stadt ihren Bewohnern schon seit Jahren vorenthält, des Geldes wegen. Eine der Brücken ist marode, die Hänge rutschen bei Regen leicht ab und müssten befestigt werden, aber der Stadt fehlt das Geld zur Sanierung und so wurden Weg und Brücke 2015 kurzerhand gesperrt.

Dafür wurde der eigentlich intakte Marktplatz neu gepflastert (mit Steinen aus Vietnam wohlgemerkt) und am Kreisverkehr in unserer Straße stellte man vor Wochen zusätzlich zu den schon stehenden Straßenlaternen »vier« neue auf, um die Fußgängerwege besser auszuleuchten. Natürlich mit konventionellen Lampen nicht mit LED-Technik. Dafür werden in den Seitenstraßen die Straßenlaternen abends ausgeschaltet, um Geld zu sparen. Das alles folgt einer Logik, die sich mir entzieht.

Zurück zum Bach und der maroden Brücke. Die soll jetzt tatsächlich erneuert werden für stolze 140.000 Euro. Die bestehende Brücke – es ist mehr ein Steg – ist ca. 4 Meter lang, was mich grübeln lässt, was diesen Steg so teuer macht. Wahrscheinlich wird das auch so ein Prestigebau wie die Brücke der Umgehungsstraße, die ein paar Meter Bachaufwärts das Tal kreuzt. Hier führt sogar eine Treppe nach oben, die endet leider an einer vergitterten Tür vor dem Fußweg. Die Tür ist Teil eines drei Meter hohen Schutzzauns, der die gesamte Brücke einschließt und dessen Sinn sich mir nicht erschließt. Die Brücke ist nicht sehr hoch, es ist keine Lärmschutzwand, warum also braucht man den überdimensionalen Zaun? (Möglicherweise wegen der ansässigen Fledermäuse.) Wenn man dort einen offenen Zugang schaffen würde, könnte man sich sogar den Brückenneubau ersparen. Aber das würde sicher gegen irgendwelche Sicherheitsbestimmungen verstoßen …

Wir leiden unter einem ständig zunehmenden Sicherheitswahn, der uns immer mehr kostet und immer mehr einschränkt, weil uns Anwälte und Versicherungen diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben. Vielleicht sollten wir mal einen Schritt nach hinten machen und uns überlegen, was wirklich notwendig ist und was nicht. Und vielleicht sollten alle die, die meinen wegen jedem Kram gleich klagen zu müssen, mal aufhören so gierig zu sein und sich bewusst machen: es gibt keine einhundertprozentige Sicherheit. Das war früher schon so und wird auch in Zukunft so bleiben.

Gesetz mit Haken

Seit gestern gilt ein neues Gesetz zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung. Das soll vornehmlich die Rechte von Leiharbeitern und Fremdpersonal stärken. Das hört sich auf den ersten Blick sehr sinnvoll an und ich begrüße das im Grunde auch, weil mit Leiharbeit und Werksverträgen in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel Schindluder getrieben wurde. Nur glaube ich, dass das Ganze wieder nach hinten los gehen wird und viele der Leiharbeiter, die jetzt noch beschäftigt sind, auf kurz oder lang ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Denn das Gesetz schreibt den Arbeitgebern vor, dass Leiharbeiter in Zukunft nach 18 Monaten fest eingestellt werden müssen. Das klingt nach einer guten Idee. Nur glaube ich nicht, dass sich große ausländisch geführte Unternehmen darauf einlassen. Meine Erfahrung sagt mir, dass die Arbeitnehmer nach 18 Monaten wieder gehen müssen und dafür neue Leihkräfte angeheuert werden. Normalerweise haben Leihfirmen dann die Verpflichtung ihre Arbeitnehmer im Anschluss weiter zu vermitteln, was aber in vielen Fällen nicht wirklich getan wird. Meist bekommen die Betreffenden die Kündigung schon am Werktor in die Hand gedrückt. Mal davon abgesehen, dass Leiharbeit für mich immer ein bisschen nach Menschenhandel riecht. Denn die Leihfirmen kassieren kräftig für ihre Angestellten und geben es nicht an sie weiter. Außerdem muss man sich mal in die Lage des Leiharbeiters versetzen. Da hat man sich gerade eingearbeitet, hat vielleicht Gefallen am Umfeld gefunden und würde gern dort bleiben, muss aber wieder gehen, weil a das Gesetz es so verlangt und b der Arbeitgeber einen nicht fest einstellen möchte. Für Arbeitgeber rechnen sich langfristige beschäftigte Leihkräfte eigentlich nicht. Es wäre günstiger, sie von Anfang an fest anzustellen. Warum große Unternehmen das dennoch nicht machen, liegt einfach am Kündigungsschutz. Gerade amerikanische Firmen setzen auf Flexibilität und geben kurzfristig lieber mehr Geld aus, als langfristig jemanden einzustellen. Klingt unlogisch, ist es auch, aber ich habe das genau so erlebt.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille des neuen Gesetzes, denn es greift noch tiefer. Und das halte ich für umstritten. Mit dem neuen Arbeitsrecht verschärfen sich auch die Regeln für die Scheinselbständigkeit. Ich spreche hier nicht von den niedrig bezahlten Jobs in der Logistikbranche oder in Schlachtereien, wo Menschen dazu gezwungen werden, sich als Selbständige zu verdingen. Ich spreche eher von den Experten in der IT-Branche, die als Freelancer arbeiten und zwar freiwillig, weil sie die Vorteile genießen, wie freie Zeiteinteilung, keine Präsenzpflicht sowie den höheren Verdienst.

Ich war 15 Jahre lang freiwillig selbstständig und 15 Jahre lang schwebte das Damoklesschwert »Scheinselbstständigkeit« ständig über mir. Die Einstufung, was als selbstständig und was als scheinselbstständig gilt, war von Anfang an schwammig und dehnbar formuliert. Es ist nach wie vor eine Grauzone und ich glaube das jeder Selbstständige in seiner Laufbahn die Grenze schon einmal überschritten hat. Denn so einfach, wie sich das der Gesetzgeber vorstellt, ist es in der Praxis nicht. Man kann nicht zeitgleich für mehrere Firmen arbeiten. Man kann sich nicht teilen, wenn man von zwei Firmen zur gleichen Zeit angeheuert wird. Manchmal ist auch das Projekt für eine Firma größer, als das der anderen und schwupp, ist der festgelegte Anteil, den man für einen einzigen Arbeitgeber im Jahr arbeiten darf, überschritten. Dann kann ich nicht einfach aufhören und sagen, ich mache nächstes Jahr weiter. Neben den Festlegungen zu den benutzen Arbeitsmitteln und getrennten Räumlichkeiten, kommt nun ein neuer Punkt dazu. Für die Erledigung der Aufgabe soll der Freelancer jetzt nur noch eine Pauschale erhalten, damit er das Risiko, unter Umständen unwirtschaftlich zu arbeiten, selbst trage. Das heißt nichts anderes, als das Freelancer nicht mehr in Stunden abrechnen dürfen. Das ist wie ein Werksvertrag. Jeder Handwerker würde da nur mit dem Kopf schütteln. Das ist in etwa so, als dürfe der Fliesenleger nur das abrechnen, was auf seinem Kostenvoranschlag steht, auch wenn ein Mehraufwand entsteht, weil die Fliesen, die der der Kunde haben will, sich schlecht schneiden lassen. Das zählt dann als unternehmerisches Risiko. Das kann es doch nicht sein.

Die Gesetze zur Scheinselbständigkeit hat die Schröder-Regierung verbrochen, um den Missbrauch zu stoppen. Gut gemeint, aber absolut unpassend für Leute, die in der IT arbeiten und das freiwillig machen. Ich kenne einige, die das tun. Sie verdienen als Freelancer nicht nur mehr, als wenn sie angestellt wären, sondern möchten einfach kein Angestelltenverhältnis. Warum lässt man solche Leute nicht so arbeiten wie sie wollen? Das Hauptargument ist ja, das Freelancer das Sozialsystem umgehen, dafür nehmen sie aber bei jedem Auftrag 19 Prozent Umsatzsteuer für den Staat ein. Das sind Millionen, die jährlich von Selbstständigen in das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands fließen. Lösen ließe sich das, wenn man als Selbstständiger freiwillig in die Sozialversicherungskassen einzahlen dürfte. Ich hätte sehr gern in die gesetzliche Rente und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt, aber das war schlicht nicht möglich, weil es der Gesetzgeber nicht vorsieht. Ich wäre auch lieber in der gesetzlichen Krankenversicherung geblieben, aber dort habe ich sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeitrag bezahlt und das war auf Dauer unrentabel, um es mal aus ökonomischer Sicht zu sehen.

Wie gesagt, das neue Gesetz ist ein zweischneidiges Schwert. Es möchte Gutes tun und Arbeitnehmer schützen, bestraft aber auf der anderen Seite viele, die eben nicht ins Muster passen. Vielleicht sollte man einfach eine Einkommensgrenze für Scheinselbstständigkeit festlegen. Wer über einem bestimmten Jahresgehalt liegt, tut dies aus freiwilligen Gründen und sollte nicht dafür bestraft werden. Und er sollte die Möglichkeit bekommen, in die Sozialversicherung einzuzahlen. Damit wäre allen geholfen.