Es hat Vorteile auf dem Land zu leben, das ist unbestritten. Bessere Luft, mehr Grün, schöne Landschaft, weniger Leute und weniger Verkehr. Außerdem ist es ruhiger. Doch diese Vorteile sind nichts, wenn man weit fahren muss, um Einkaufen zu gehen oder Arztbesuche zu absolvieren (besonders bei Fachärzten). Die Möglichkeiten am Wochenende mal Essen zu gehen oder irgendetwas Kulturelles zu erleben, sind in den vergangenen Jahren immer weiter eingeschränkt worden. Cafes und Restaurants wurden geschlossen, weil es keine Pächter mehr gibt oder die Betriebskosten die Einnahmen einfach aufgefressen haben. Geschäfte schließen, weil sich keine Nachfolger finden, die sie weiterführen wollen oder weil die Mieten unerschwinglich geworden sind.
Einen herben Verlust hat die Gemeinde in der ich lebe zuletzt erfahren müssen, als der Werkmarkt zugemacht hat. Der Werkmarkt war ein kleiner Baumarkt, der sich im ehemaligen Gebäude einer Lidl-Filliale eingerichtet hatte. Dort gab es alles, was man für das Landleben braucht. Gartenbedarf, Werkzeug und Maschinen, Camping- und Haushaltsartikel sowie einen Schlüsseldienst. Als wir unlängst hinwollten, um eine Säge zu kaufen, standen wir vor verschlossenen Türen. Das Gebäude wird jetzt von einer Isolierfirma als Lager benutzt. Wann der Werkmarkt zugemacht hatte, wissen wir nicht, aber es muss wohl um den Jahreswechsel gewesen sein, denn im November war er noch geöffnet gewesen. Wenn ich jetzt einen Schlüssel nachmachen lassen möchte oder ein Werkzeug brauche oder auch nur eine Schraube kaufen will, dann muss ich ins Auto steigen und 15 Kilometer in die nächste Stadt fahren. Gut für den, der ein Auto hat. Denn der Nahverkehr hier beschränkt sich auf den Schulbus am Morgen und Mittags sowie eine Bahn, die nur sporadisch mal fährt und mit der man doppelt so lange unterwegs ist, wie mit dem Auto
Als ich 2007 zum ersten Mal nach Waging kam, war alles noch da: mehrere Drogeriemärkte, Gärtnerei, Buchladen, Reisebüro, Fahrradladen, Spielzeuggeschäft und sogar zwei Hutläden, dazu jede Menge Lokale und Cafés, mehrere Bäckereien und Metzger, Supermärkte und Lebensmittelläden. Heute ist nur noch ein Teil davon übrig. Besonders schlimm war es, nachdem Schlecker Pleite gegangen war, der Penny im Ort geschlossen wurde und der Edeka ums Eck dichtgemacht hat. Was blieb, war ein Lidl und ein EDEKA, in dem sich die Leute auf die Füße getreten sind. Vor allem im Sommer, wenn die Bevölkerungszahl wegen der Campingtouristen von 6.000 auf 10.000-12.000 ansteigt, brauchte man nirgendwo mehr hinzugehen.
2018 wurde dann auf der grünen Wiese ein REWE und ein Rossmann gebaut. Das war eine leichte Entlastung, obwohl man weit gehen muss, wenn man kein Auto hat oder nicht wegen jedem Meter fahren will. Inzwischen ist auch der REWE ziemlich überlaufen, die Postfiliale und der Lottoladen haben zugemacht, dazu muss man nun auch in den REWE. Es gibt nur noch zwei Metzger und zwei Bäcker, die nur noch Filialen von Großbäckereien sind. Unsere Semmeln bestellen wir im Reformladen, der Freitags von einer Biobäckerei beliefert wird. Der kleine Bioladen hat ebenso geschlossen, wie der Schuhladen, die Buchhandlung und das Café bei dem wir uns immer Kuchen oder Torten gekauft haben. Einer der Metzger hat seinen Laden geschlossen und stellt nur noch Konserven her (die zwar sehr lecker sind) und im Käseladen (Werksverkauf vom Bergader) bekommt man auch mal Milch und Jogurt, falls man welche braucht. Die Fahrradläden gibt es noch und ein paar Klamottengeschäfte. Die haben aber teilweise nur in den Sommermonaten auf. Jetzt hat der Pächter vom großen EDEKA angekündigt, aufzuhören, hoffentlich macht sein Geschäftsführer weiter, denn dann bliebe wahrlich nur noch der Lidl und der REWE, was für einen Ort dieser Größe definitiv zu wenig ist.
Mich ärgert es immer, wenn Leute, die in der Großstadt leben, Menschen auf dem Land vorwerfen, dass sie ein Auto besitzen und meinen, mit einem Lastenrad ginge das doch auch. Denen wünsche ich mal einen Monat ohne Auto hier zu leben. Mal sehen wie sie schnaufen, wenn sie die 15 Kilometer bergauf nach Traunstein radeln, um zum Arzt zu gehen oder Einkaufen oder ins Fitnessstudio … Halt! Zumindest Letzteres könnten sie sich dann sparen.
Die Säge habe ich jetzt im Internet bestellt, wie so vieles andere, was ich hier nicht im Ort bekomme, weil es keinen Laden dafür gibt.
Ja, ohne Auto bist du auf dem Land aufgeschmissen. In dem 1600-Seelen-Dorf, in dem ich wohne, gibt’s nicht mal einen Bahnhof. Als ich da 1993 eingezogen bin, hatten wir eine Post- und eine Bankfiliale, letztere zusätzlich zum Personal auch mit Automaten. Es gab eine Kneipe, einen Bäcker, einen Metzger und eine Arztpraxis. Kurz nach meinem Einzug hat auch noch ein Mini-Supermarkt aufgemacht. Von alldem ist nur der kleine Markt geblieben, und dafür bin ich extrem dankbar!
Das war blöd formuliert, merke ich gerade. Natürlich bin ich dankbar dafür, dass es den Laden noch gibt, aber nicht dafür, dass alles andere weg ist! Und zugegeben: Die Bankautomaten gibts auch noch.
Das hatte ich auch so verstanden, dass Du dankbar für den Markt bist.
Natürlich braucht man auf dem Land ein Auto. Zumindest so lange es keine Rufbusse gibt, die bezahlbar sind.
Was mir Sorgen machen würde und weshalb ich auch nicht auf dem Land leben wollen würde: Was ist, wenn ich alt bin und nicht mehr Auto fahren kann (oder sollte)? Was mache ich dann?
Dann bist du nicht mehr so mobil. Ich sehe das an meinen Eltern, sie verlassen kaum noch das Haus. Zum einen, weil sie schlecht zu Fuß sind und zum anderen, weil sie gar nicht mehr wollen. Die sitzen lieber in ihrem warmen Wohnzimmer und schauen den ganzen Tag fern. Und sie wohnen in der Stadt, fünfzig Meter von der Fußgängerzone entfernt. Das Bedürfnis nach Bewegung und Erlebnis nimmt im hohen Alter rapide ab. Ausnahmen bestätigen da die Regel. Meine Tante geht mit fast 94 jeden Tag spazieren oder einkaufen. Aber die geht auch mindestens zweimal im Jahr in den Europapark und nimmt da jede Attraktion mit.
Ich nehme mir deine Tante mal als Vorbild :-)