Langer Weg in den Norden

Beim Straßenbau scheint die Zeit stillgestanden zu haben

Autofahren ist echt nicht mein Ding.

Nach unserer Fahrt nach Prerow weiß ich auch wieder, warum ich lange Strecken lieber mit dem Zug zurücklege. Wir brauchten glatte sieben Stunden für die Fahrt von Saalfeld auf den Darß. Dabei nervten nicht nur die vier Baustellen auf der A9, sondern vor allem die Endlosbaustellen auf der A24. Mehr als 60-80 km/h durfte man dort nicht fahren, und der Verkehr war trotz Sonntag ziemlich dicht. Erst auf der A19 entspannte sich das Ganze wieder.

Und just als wir in Rostock von der Autobahn abfuhren, steckten wir in einem Stau. Irgendwo hatte es einen Unfall gegeben, der Hubschrauber flog über uns hinweg und von fern hörte man die Rettungsdienste nahen. Glück im Unglück – Wir standen direkt neben einer Abfahrt. Ich zückte mein Handy, ließ mir kurzerhand die Verkehrslage anzeigen und entdeckte, dass es eine Parallelstraße gab. Wir mussten bloß die Abfahrt nehmen, was wir dann auch taten. Und siehe da, wir brauchten nur ein paar Minuten, um an dem Megastau vorbei, am anderen Ende des Staus wieder auf die Hauptstraße zu gelangen. Wahrscheinlich haben wir uns so mehrere Stunden Warterei erspart. Hoch lebe das Smartphone und die NavigationsApp!

Auf der Bundesstraße fuhren wie nochmal 60 Kilometer direkt an der Küste entlang bis nach Prerow. Unteranderem passierten wir jenes Ostseehotel, was Tags zuvor abgebrannt war. Man nahm den Brandgeruch noch durch die geschlossenen Autoscheiben wahr. Die Ortsdurchfahrten waren allgemein ziemlich abenteuerlich. Überall gab es Fahrradfahrer und Fußgänger, die vor dem Auto herfuhren oder einfach über die Straße rannten. Das erforderte meinem Mann erhöhte Konzentration ab und das nach fast sieben Stunden Autofahrt. Mit Verwunderung nahmen wir zur Kenntnis, dass trotz Sonntag die Geschäfte geöffnet hatten, vorallem Discounter wie Aldi, Lidl und Co. In Bayern eine absolute Unmöglichkeit, hier Normalität.

Für die Anfahrt zum Hotel befragte ich nochmal die NavigationsApp, obwohl ich sonst lieber auf der Karte nachsehe und meinen Mann navigiere. In Prerow ist es aber unabdingbar. Die Seitenstraßen sind nicht nur schmal und in teils miserablem Zustand, sondern es sieht auch noch alles gleich aus. Die Siedlung wurde im Laufe der Jahrzehnte in den Sand zwischen die Bäume gebaut. Nach und nach sind die alten Häuser und Bungalows aus Ostzeiten modernen Einfamilienhäusern gewichen. Alles sehr schick, aber die Straßen dazwischen wurde nur hier und da erneuert. Teilweise sind es nur mit Betonplatten verstärkte Sandwege. Eng, löchrig und verwinkelt, auf denen sich Radfahrer und Fußgänger kreuz und quer bewegen. Mit großen oder tiefergelegten Autos kommt man da nur schwer durch. Mit unserem Corsa fanden wir den Weg jedoch ohne Probleme und waren ziemlich Lendenlahm, als wir vor dem Hotel aus dem Auto stiegen.

Wir checkten in dem gebuchten Bio-Hotel ein. Alles war sehr persönlich, wir bekamen eine kleine Führung, man zeigte uns wo wir uns »belebtes« Wasser zapfen konnten und wo die Behandlungen stattfinden werden. Dem Hotel angeschlossen ist nämlich ein Gesundheitszentrum mit Physiotherapie in ganzheitlicher Ausrichtung. An der Rezeption lagen schon unsere drei Termine zur Rückenmassage für die nächsten Tagen bereit (alles im Hotelpreis inbegriffen). Anschließend ruhten wir uns erstmal ein wenig aus und gingen dann in den Frühstücksraum, wo es gegen eine kleine Spende, jeden Nachmittag Kaffee und Kuchen gibt.

Am Abend wollte ich an den Strand. Von der Karte wusste ich, dass es ein gutes Stück zu laufen ist. Nach dreißig Minuten Fußweg sahen wir endlich das Meer und tauchten unsere Füße in feinen weißen Ostsee-Sand. Nur vom Meer selbst waren wir etwas ernüchtert. Die Ostsee ist nicht der Atlantik und auch nicht mehr das, was sie mal war. Als Kind habe ich darin gebadet. Es gab damals zwar Seetang und hin und wieder eine Qualle, aber die großflächigen braunen Algenteppiche, die jetzt an den Strand geschwemmt werden, gab es definitiv nicht. Es roch dementsprechend streng und man mochte eigentlich nicht barfuß am Wasser entlanglaufen. Wir taten es trotzdem und entdecken immer mal wieder Stellen, an denen weniger Algen waren. Trotzdem ist der Strand vollgeschwemmt. Auffällig auch die vielen schwarzen Miesmuscheln, die in dicken Klumpen am Strand lagen und vor sich hingammelten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es die in den Achtzigern schon hier gab.

Es war Abend, aber die Sonne steht im Juni in diesem Breiten noch hoch am Himmel. Es waren viele Leute unterwegs, einige mit Hund, andere in dicker Winterjacke. Wir liefen im T-Shirt und kurzer Hose herum und froren bei 22 Grad nicht. Wir sind aber auch jünger. Auffällig viele der Touristen waren Rentner. Die Mehrzahl der Leute, denen wir begegnen, gehört der Generation 50-Plus an, mehr oder weniger rüstige Senioren, meist aus Sachsen, Thüringen oder Berlin, aber auch aus Bayern. Wenn nicht auch einige junge Familien mit Babys und Kleinkindern unterwegs gewesen wären, wären wir schon fast aufgefallen.

Nach fast zwei Stunden Abendspaziergang fielen wir todmüde ins Bett. Apropos Todmüde. Vor dem Schlafengehen las ich voller Faszination noch einige Kapitel in einem Totengräberbuch und träumte prompt von Wasserleichen.

Steine & Muscheln, aber kein einziger Bernstein
Der Algenteppich hat schon was von einem Ölteppich
Es gab aber auch Stellen, die relativ sauber waren

 

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