Der Fremde in meinem Bett

Mir ist aufgefallen, dass ich diese schier unglaubliche Geschichte noch gar nicht erzählt habe. Ich erinnerte mich gerade jetzt daran. Denn in diesem Monat sind es zwanzig Jahre her, dass ich in meine Münchner Wohnung gezogen bin, in der ich anschließend zwölf Jahre gewohnt habe.

Nach München kam ich im April 2001 und wohnte zuerst eine Woche lang bei einer Kollegin, weil das mit dem von der Firma organisierten Zimmer nicht geklappt hatte. Anschließend zog ich für drei Monate in eine Firmenwohnung auf dem Firmengelände. Von meinem Zimmer aus blickte ich auf meinen Arbeitsplatz im Gebäude gegenüber. Das mag bequem klingen, aber ich empfand das als nicht schön, keinen Weg zur Arbeit zu haben, da fehlt die Distanz und man kann schwerer abschalten. Ich teilte mir die Wohnung mit einem jungen Pärchen mit Kleinkind. Er hatte auch eben erst bei der Firma angefangen, für die ich arbeitete und seine Frau hatte in der Großküche bei BMW eine Anstellung gefunden. Die 3-Zimmer-Wohnung war nicht groß und auch nicht besonders üppig ausgestattet. Die Gastherme im Bad und der Gasofen im Wohnzimmer waren nicht mehr die neuesten und rochen immer etwas nach Gas. In meinem kleinen Zimmer gleich neben der Eingangstür gab es keine Heizung, aber der April war warm und so fror ich nicht. Es gab aber auch kein funktionierendes Schloss, beziehungsweise keinen Schlüssel, um das Zimmer abzuschließen. Was mir aber nichts ausmachte, da ich außer ein paar Klamotten und Büchern keinerlei Wertsachen in meinem Koffer hatte.

Wir hatten wenig Kontakt, sahen uns ab und zu in der Küche oder hin und wieder im Wohnzimmer, wenn ich telefonieren wollte. Ansonsten hielt ich mich meist in dem zirka zwölf Quadratmeter großem Zimmer mit Bett und Schrank auf. An einem Wochenende im Mai hatten die beiden, Freunde von außerhalb eingeladen und waren Sonntagabend zur Maidult gefahren. Das ist ein Volksfest in München, bei dem es meist feuchtfröhlich zugeht. In der Nacht zum Montag hörte ich noch wie alle angetrunken nach Hause kamen und sich im Wohnzimmer zum Schlafen hinlegten. Ich dachte mir nichts dabei und schlief weiter. Früh gegen fünf, draußen war es schon hell, wurde ich durch ein Geräusch wach. Noch verschlafen bekam ich mit, dass plötzlich meine Zimmertür aufging, ein fremder Mann hereinkam und zu mir ins Bett stieg. In dem Moment war ich hellwach und sprang förmlich aus dem Bett. Der Typ jedoch wickelte sich in meine Decke, drehte sich um und schnarchte. Ich verließ einigermaßen aufgeregt und mit klopfendem Herzen das Zimmer, ging auf dem Flur hektisch auf und ab, während ich überlegte, was ich tun sollte. Zurück ins Zimmer traute ich mich nicht, im Wohnzimmer schnarchten vier weitere unbekannte junge Männer vor sich hin. Kurzerhand entschloss ich meine beiden Mitbewohner zu wecken, die im Schlafzimmer schliefen. Auch auf die Gefahr hin, dass das Kleinkind wach wurde und zu quengeln anfing. Ich klopfte erst zaghaft, dann lauter, schließlich öffnete ich die Tür einen Spalt weit. Ich erklärte dem müde und verdutzt aussehenden Pärchen, dass sich einer ihrer Übernachtungsgäste gerade in meinem Bett breit machte. Zunächst hielten die beiden das wohl für einen Scherz, aber ich muss wohl ziemlich aufgeregt geklungen haben, denn er schälte sich aus dem Bett und kam nachsehen. Mit viel Nachdruck und Körpereinsatz konnte er seinen Kumpel davon überzeugen, dass es nicht sein Bett war, in dem er gerade fest schlummerte. Er verfrachtete ihn zu den anderen ins Wohnzimmer und entschuldigte sich. Ich ging wieder zurück in mein Zimmer, saß auf der Bettkante und war viel zu aufgeregt, als das ich wieder hätte einschlafen können. Immer wieder blickte ich kontrollierend zur Tür, ob nicht doch wieder jemand hereinkam.

Irgendwann gegen sieben zogen die Truppen ab und es wurde wieder ruhig in der Wohnung. Ich zog mich an, frühstückte und ging um die Ecke auf Arbeit. Ich wollte die peinliche Geschichte für mich behalten, weil ich hier so gut wie niemanden kannte, aber vergeblich. Spätestens nach dem Frühstück war die Geschichte rum. Ich wurde von fast jedem feixend auf meinen nächtlichen Herrenbesuch angesprochen und war das Thema des Tages in der Firma.

Von dem Tag an habe ich dort nicht mehr so ruhig geschlafen und forcierte meine Anstrengungen eine eigene Wohnung zu finden, schaltete Stellenanzeigen und telefonierte mit Wohnungsgenossenschaften. Es war damals schon sehr schwer, bezahlbaren Wohnraum in München zu finden. Mit einer Anzeige klappte es dann, ein Immobilienmakler meldetet sich bei mir, der im Auftrag seines Kunden einen neuen Mieter für dessen Wohnung suchte. Die Wohnung war nur zehn Minuten Fußweg von meiner Arbeitsstelle entfernt, wenn ich wollte, konnte ich auch mit der Trambahn hinfahren. Es war nur ein Zimmer (keine 30 Quadratmeter) mit Küche und Bad und einem einzigen Fenster hinaus auf die vierspurige vielbefahrene Schleißheimer Straße. Gleich gegenüber lag der Karstadt, bei dem ich oft und gern eingekauft habe und unten im Haus gab es einen REWE und eine Bäckerei. Der Vorteil: wenn ich wollte, konnte ich in Hausschuhen einkaufen gehen. Der Nachteil: Morgens um 5 Uhr kam der erste Laster zur Anlieferung und dann wurden bis zur Marktöffnung Paletten rein- und rausgeschoben, dass man dachte, man wohne über einer Bowlingbahn. Aber es war mein eigenes Reich, das ich mit niemandem teilen musste und nachdem ich auf Ratschlag des Hausmeisters auch das Türschloss tauschen ließ, schlief ich meist ruhig und selig und ohne ungebetene Gäste in meinem Bett.

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