Manchmal ist es vorteilhaft auf einem E-Mail-Verteiler zu stehen. Durch meine Arbeit für den Newsletter der PRFZ, gelangte ich in den letzten Monaten auf den einen oder anderen wichtigen.
So kam es, dass Anfang Dezember 2015 der Organisator des Colonia Con 22, Bernd Robker, in die Runde fragte, wer etwas zum Conbuch beitragen möchte. Ich bot ihm einen Auszug aus »Parallelwelten« an. Er meinte, da das Conbuch auch bei Amazon als E-Book erscheinen würde, wäre es ihm lieber, keine lizenzrelevanten Inhalte zu verwenden. Er würde aber gern etwas unabhängiges von mir veröffentlichen. Zwei Wochen zuvor war ich in Wolfenbüttel. Wir hatten dort eine Szenen aus meinem, zugegebenermaßen noch recht rudimentären Roman »Vor dem Ende der Hoffnung« besprochen, die ich bereits überarbeitet hatte. Sicherheitshalber schickte ich Bernd noch eine zweite Szene, die deutlich mehr Science Fiction Elemente hatte und bat ihn sich eine auszusuchen. Überraschenderweise wählte er die erste Szene, die eigentlich wenig Phantastisches enthält, dafür aber recht actionlastig ist. Anschließend kam ich in den Genuss eines zweistufigen Lektorats, das die Szene nochmal deutlich straffte und verbesserte. So wurde sie dann auch im Conbuch abgedruckt. Und für diejenigen, die kein Exemplar bekommen haben, können sie nun hier nachlesen.
Viel Spaß!
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»Silas!« Der verzweifelte Ruf holt mich aus der Meditation. Ich springe auf, da kommt mir Anja bereits entgegen. Panik lodert in ihren Augen.
»Sarah ist weg«, keucht sie atemlos, als wäre sie einen Marathon gelaufen.
»Wo seid ihr zuletzt gewesen?«
»Im Esszimmer. Ich bin nur kurz in die Küche. Als ich zurückkam, war sie weg. Erst dachte ich, sie sei im Badezimmer. Jetzt kann ich sie nirgendwo im Haus finden.« Die Stimme von Sarahs Therapeutin überschlägt sich, so schnell, wie die Worte aus ihr heraussprudeln.
Ich versuche, ruhig zu bleiben. Hektik wäre nur hinderlich. Stattdessen gehe ich ins Wohnzimmer und überprüfe die Terrassentür. Sie ist verschlossen.
Draußen fängt es an zu tröpfeln. Der Regen überzieht die Steinfliesen mit dunklen Punkten. Donner grollt in der Ferne. »Bist du sicher, dass sie nicht mehr im Haus ist?«
Anja nimmt meine Frage mit einem Schlucken auf und nickt. In ihren Augenwinkeln sammelt sich Feuchtigkeit.
»Keine Sorge, wir finden Sarah. Sie muss noch in der Nähe sein.« Mit diesen Worten versuche ich, nicht nur Anja zu beruhigen.
Bevor ich die Haustür öffne, schlüpfe ich in Schuhe und Jacke, denn inzwischen gießt es in Strömen. Die Treppe vorm Eingang glänzt nass und der Weg, der vom Haus wegführt, ist bereits so aufgeweicht, dass ich einsinke. Es riecht nach Erde. Ich renne ums Haus, kann die Gesuchte aber nirgendwo entdecken. Der Regen fällt jetzt so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen kann. Auf der Lichtung vorm Haus und zwischen den Bäumen des nahen Waldes ist es dunkel geworden. Ein Blitz zuckt über den Himmel, taucht die Landschaft für einen Augenblick in gleißende Helligkeit.
»Sarah! Sarah!« Hinter mir gellen Anjas Rufe durch den Regen.
Einer Ahnung folgend drehe ich mich zu ihr um. Die roten Haare kleben in ihrem Gesicht, sie atmet schnell. Ich frage mich, ob die Tropfen auf ihren Wangen Tränen sind oder vom Regen stammen. »Anja!« Ich packe sie an den Schultern. »Sag mir, wie du hergekommen bist.«
Überrascht runzelt sie die Stirn und schnieft. »Mit dem Gleiter, wie immer.«
»Wo hast du die Kennkarte?«
»Die steckt …« Donnergrollen erstickt den Rest des Satzes.
Mir wird heiß und kalt zugleich. Meine Befürchtung trifft mich ins Mark. Der Gleiterlandeplatz, an dem ich Sarah vergangene Nacht aufgegriffen habe, ist heute Nachmittag nicht leer. Ich löse meine Hände von Anja, drehe mich um und renne los; hoffe, dass ich nicht zu spät kommen werde.
Regentropfen peitschen mir ins Gesicht. Blitze sorgen dafür, dass ich blinzeln muss. Wiederholt erschüttert Donner die Luft. Doch da ist noch ein Geräusch: der Gleiter! Ich beschleunige meine Schritte, ignoriere die entsetzten Rufe Anjas hinter mir. Auch sie scheint zu begreifen, was geschieht.
Zwischen den Bäumen schwebt der Gleiter bereits einen halben Meter in der Luft, als ich ihn erreiche. Ehe er vollständig abheben kann, schlage ich auf den Schalter der Notabschaltung. Die Abdeckung aus Sicherheitsglas splittert, meine Hand reißt den Hebel herum. Das Antigrav-Triebwerk verstummt und das Fluggerät sackt unvermittelt auf die Erde. Was ich getan habe, war gefährlich, denn die Prozedur ist nur für stehende Gleiter gedacht. Eine Pendelbewegung und er hätte mich zerquetschen können. Ich spüre, wie sich Wut und Verzweiflung in mir verdichten.
Warum? Warum tut Sarah mir das an?
Aufgebracht reiße ich die Einstiegsluke auf und zerre den schmächtigen Körper der Frau aus dem Pilotensitz. Sie wehrt sich nicht, auch nicht, als sie dabei zu Boden geht. »Steh auf!«, schreie ich sie an und ziehe sie an einem Arm auf die Füße. Der Sturz hat Flecken auf dem weißen Kleid hinterlassen, das ihre Gestalt noch zerbrechlicher wirken lässt. Doch das hemmt mich nicht. Blind vor Zorn brülle ich sie an, schüttle sie, stoße sie gegen die Außenhülle des Gleiters. Um uns rauscht der Regen des Gewitters.
»Verdammt noch mal, rede mit mir!« Ich will, dass sie mich ansieht, dass sie endlich eine Reaktion zeigt. »Wenn du einen Gleiter starten kannst, dann kannst du auch mit mir reden.« Meine Stimme wird heiser vom Schreien.
Doch ihre tiefblauen Augen bleiben trüb, verlieren sich wie seit Monaten in der Unendlichkeit. Regentropfen prasseln unablässig auf ihr Gesicht und die blonden Haare, doch sie zwinkert nicht mal.
»Sieh mich an!«, tobe ich und halte ihre Oberarme fest umklammert. Tränen des Zorns steigen mir in die Augen, nehmen mir die Sicht.
Plötzlich stößt mich jemand zur Seite. Ich will mich verteidigen und entdecke Anja, die sich schützend zwischen mich und Sarah schiebt. Ihre grünen Augen sprühen vor Bestürzung und Entschlossenheit. Mit einer Kraft, die ich ihr nicht zugetraut hätte, drängt mich die junge Frau weg. Widerspruchslos lasse ich von Sarah ab.
Der Plasmafaden eines Blitzes schießt plötzlich zwanzig Meter neben uns in den Himmel. Meine Haare stellen sich auf und meine Fußsohlen kribbeln. Gestein und Erde spritzen umher. Es knistert, bis ein ohrenbetäubender Knall jeden anderen Laut übertönt. Die Luft riecht nach Ozon und verkohltem Holz.
Anja klettert eilig auf die Rückbank des Gleiters und zieht Sarah mit sich. Auch ich besinne mich, steige auf den Pilotensitz und schließe die Luke.
Der Regen trommelt auf Außenwände und Panoramascheibe, während der Wald um uns in weißen Schemen versinkt. Das Krachen des Gewitters klingt hier drin weit entfernt und zwischen uns herrscht eine angespannte Stille. Ich wische mir mit der Hand übers Gesicht und wage erst ein paar Atemzüge später, mich umzudrehen.
Anja hält Sarah fest im Arm. Sie streicht ihr über den Kopf. Beide Frauen sind vollkommen durchnässt. Wasser fließt in kleinen Rinnsalen an ihnen herunter und tropft aus ihrem Haar. Sarah zittert. Sie ist noch bleicher als sonst. Deshalb treten die roten Male an ihren Oberarmen deutlich hervor.
Das war ich, begreife ich. »Sarah!« Schuldbewusst taste ich nach ihrer Hand. Doch Anja ist schneller und rutscht mit ihr von mir weg. Sie hat wohl Angst, dass ich erneut die Nerven verliere und auf die Frau losgehe, die in ihrer eigenen Welt gefangen ist. Mit einem Mal fühle ich mich elend. Die Situation erinnert mich an den Tag vor vielen Jahren, als ich Sarah in meiner Wut so schwer verletzte habe, dass sie beinahe gestorben wäre. Das ist so lange her, dass es mir wie die Erinnerung eines Fremden vorkommt. Damals, bevor ich meine Aggression unter Kontrolle hatte, habe ich mir geschworen, ihr nie wieder wehzutun, und jetzt …
»Sadak!« Sarahs Lippen bewegen sich und man kann tatsächlich verstehen, was sie sagt. Sie spricht zum ersten Mal, seit sie nach ihrer Verletzung aus dem Koma erwacht ist.
Anja scheint genauso perplex wie ich, sie zwinkert verstört.
»Sadak!« Sarah wiederholt den Namen lauter und es fühlt sich wie ein Faustschlag an.
Nach allem, was ich in den vergangenen anderthalb Jahren für sie getan habe, ist das Erste, das ihr über die Lippen kommt, der Name ihres Ehemanns. Es fühlt sich falsch an und ich komme mir hintergangen vor. In all der Zeit hat sich Sadak nicht nach Sarah erkundigt. Ich sehe sie an und es ist, als erblickte ich sie in der weißgoldenen Hochzeitsrobe, an dem Tag, an dem sie unsere Verlobung gelöst hat, um ihn zu heiraten. Der Schmerz von damals macht sich wieder bemerkbar, legt sich wie eine Klammer um meine Brust und raubt mir den Atem. Ich muss hier raus.
Hektisch öffne ich die Luke. Mit einem Satz gelange ich ins Freie. Wasser spritzt hoch, besudelt Schuhe und Kleidung. Ungeachtet des um mich tosenden Gewitters renne ich in Richtung Haus zurück. Es ist wie eine Flucht. Ich glaube, dass ich damit alle Gefühle hinter mir lassen kann, aber es will mir nicht gelingen.
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Natürlich hab ich das Original im Schrank. ;-)