Deutsche Bahn – Jede Fahrt ein Abenteuer

Es ist wie in der Lotterie. Manchmal zieht man das große Los, sehr oft aber erwischt man eine Niete. Und manchmal kann die Niete auch ein Hauptgewinn sein. Je nachdem wie man es betrachtet. Bei meiner Reise mit der Deutschen Bahn am Freitag lässt sich leider nicht so genau definieren, was von beiden es ist nun ist. Diese Entscheidung überlasse ich dem Betrachter.

Seit über zwanzig Jahren fahre ich regelmäßig mit der Bahn. In den vergangenen Jahren war es etwas weniger. Bis 2017 aber, waren es ca. 4000 Euro im Jahr, die ich für Fahrkarten ausgeben habe. Man kann sich also ausrechnen, wie oft ich unterwegs war. In all der Zeit habe ich so einiges erlebt, aber ich habe nie eine Zug-Evakuierung mitmachen müssen. Am Freitag war es dann soweit:

Es geht schon damit los, dass der Meridian kurz hinter Rosenheim an einer Langsamfahrstelle (wegen defekter Schwellen) Verspätung aufbaut. Als der Zug in den Münchner Hauptbahnhof einfährt, kommt uns mein ICE schon entgegen.
Blöderweise ist der Sprinter ausgefallen, mit dem ich sonst immer fahre, wenn ich meinen Zug verpasse. Ich nehme also einen ICE nach Nürnberg, wo ich dann die Option habe, 44 Minuten zu warten und mit der Regionalbahn weiterzufahren, um eineinhalb Stunden später anzukommen oder einen ICE nach Erfurt zu nehmen und von dort nach Saalfeld zu kommen (mit nur 50 Minuten Verspätung). Weil es kalt ist, entscheide ich mich für die Fahrt mit dem ICE über Erfurt.

Schwerer Fehler!

Das passende Wetter zum Evakuieren

Kurz vor Erfurt macht der Zug eine Vollbremsung. Kurzzeitig riecht es merkwürdig, dann steht der Zug … und steht und steht und steht. Die Durchsagen des Personals sind spärlich und sollen Hoffnung schüren, dass es bald weitergeht. Draußen rieselt der Schnee, über die verschneiten Felder hüpfen die Rehe. Es wäre so idyllisch, wenn nicht die Ungewissheit wäre, wie und wann es denn weitergeht.

Nach einer Stunde bewegt sich der Zug wieder. Die Durchsagen machen weiter Hoffnung. Nur leider ist die Geschwindigkeit so gering, dass man daneben herlaufen könnte und man wäre schneller. Immer wieder bleibt der Zug stehen, bewegt sich dann wieder ein paar Meter vorwärts, bleibt wieder stehen. Ich schwanke zwischen Hoffnung und Frust. Meinen Zahnarzttermin hatte ich schon beim Umsteigen in Nürnberg abgesagt.

Etwa zwei Kilometer weiter auf der Höhe von Arnstadt bleibt der Zug endgültig liegen. Die Durchsage ist diesmal ernüchternd, auch wenn sich die Zugbegleiterin Mühe gibt, das Ganze auszuschmücken, um die Situation besser darzustellen, als sie ist. Wir sollen evakuiert werden. Der Ersatzzug würde in Erfurt gerade bereitgestellt. Alles bereitet sich schon mal vor. Dann heißt es warten, warten und weiter warten.

Bahnangestellte laufen mit orangen Westen und Rettungsleitern durch den Zug. An drei Wagen sollen die Übergänge platziert werden. Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick auf die Autobahn, die an der Schnellstrecke entlangführt. Ich fahre gern mit der Bahn, inzwischen aber wäre mir ein Auto lieber, trotz des Winterwetters mit glatten Straßen. Zumindest funktioniert die Heizung im Zug. Dann fährt der Zug wieder. Allerdings rückwärts, um sich für die Evakuierung in Position zu begeben. Nicht nur ich frage mich, warum der Zug rückwärts fahren kann aber nicht vorwärts. Wahrscheinlich ist nur ein Triebkopf beschädigt.

Das Taxi ist da.

Ich warte und warte. Irgendwann fährt ein zweiter ICE längsseits und hält. Das Taxi ist da! Doch es dauert noch eine halbe Stunde, bis die Evakuierung losgehen soll. Dann die Durchsage: Die Evakuierung kann nicht wie geplant über Stege von Zug zu Zug stattfinden, sondern über Leitern, weil die Länge der Wagons der beiden Züge nicht übereinstimmt. Die Durchsage erntet sarkastisches Gelächter unter den Passagieren. Draußen schneit es immer mehr. Deshalb wird der Zug nur über zwei Ausgänge evakuiert, nämlich die, die unterhalb einer Brücke liegen, damit niemand nass wird oder auf den Leitern ausrutscht.

Inzwischen ist in Polizei da. Zwei Bundeswehrangehörige auf Heimaturlaub, die zufälligerweise im Zug sitzen, helfen mit. Nochmal eine halbe Stunde später beginnt die Evakuierung. Wagen für Wagen werden die Passagiere aufgefordert zu den zwei Ausgängen am hinteren Teil des Zuges zu gehen. Wir stehen in einer Reihe. Alle sind diszipliniert. Es geht zügig voran. Ich bin schon dran, da werde ich zum nächsten Ausgang weitergeschickt. Hier scheint es ein kleines Problem zu geben, denn die Schlange bewegt sich nicht. Dann gehts doch weiter. Im Reißverschlussverfahren werden die Leute aus zwei Wagen aufgefordert, die Leiter hinunter zu klettern. Die schmale Treppe ist tatsächlich glatt, aber ich komme heil runter. Ich wage nicht daran zu denken, ob und wie meine Eltern da hinuntergeklettert wären. Man reicht mir meinen Koffer, ich bedanke mich artig und gehe ein paar Meter bis zum einzigen Eingang am Ersatzzugs. Jemand nimmt mir den Koffer ab und ich klettere die steile Leiter wieder hoch. Das Ganze hat kaum eine Minute in Anspruch genommen. Ich laufe im Zug nach vorn und finde einen freien Sitzplatz neben einem jungen Mann mit MacBook.

Dann heißt es wieder warten. Der ICE ist entsprechend voll gewesen, weil der Sprinter ausgefallen war. Dementsprechend viele Passagiere müssen den Zug wechseln. Es dauert nochmal eine ganze Stunde, bis alle an Bord sind und es unter Applaus weitergehen kann. Trotzdem sollte ich froh sein, dass der Zug nicht in einem der 26 Tunnel liegengeblieben ist, die wir zuvor durchquert haben. Ärgerlich ist es dennoch. In den dreieinhalb Stunden, die die ganze Evakuierung gedauert hat, hätte man fast bis Erfurt laufen können. Ich frage mich: Warum man da keine Lok davor spannen kann? Das würde schneller gehen.

10:24 Uhr sollte ich ursprünglich in Erfurt ankommen. Als der Ersatzzug am Bahnsteig hält ist es 15 Uhr. Ich muss dringend was essen, und mein Trinken ist auch alle. An Bord wurde zwar Wasser ausgegeben, ich habe nur leider keins mehr bekommen. Am Bahnhof in Erfurt versorge ich mich erst einmal mit Essen und Trinken. Um 15:44 Uhr geht es weiter. Die Regionalbahn ist nicht nur proppenvoll voll, sondern auch eiskalt. Es zieht an den Füßen und ich friere trotz Jacke und dickem Pullover. Die privaten Bahnen müssen halt sparen. Dafür ist der Zug pünktlich.

Um kurz vor 17 Uhr komme ich endlich am Zielbahnhof an, sieben Stunden später als geplant. Insgesamt war ich elf Stunden unterwegs. Ein neuer Rekord für diese Strecke.

Am Montag muss ich wieder zurück. Dieses Mal auch wieder über Erfurt. Ich »freue« mich schon sehr. Ein neues Abenteuer wartet.

5 thoughts on “Deutsche Bahn – Jede Fahrt ein Abenteuer

  1. Schöne Geschichte – nicht für Dich, klar, aber zum Lesen. Ich hatte auch schon mal eine DB-Evakuierung. Im Sommer vor ein paar Jahren hatte ein ICE 300 Meter vor dem Hannoveraner Hauptbahnhof (meinem Ziel) schlappgemacht. Sagenhafte drei Stunden später (bei brütender Hitze und funktionsloser Klimaanlage) kam der Ersatzzug. Auch da hat es nochmal über eine Stunde gedauert bis alle draußen waren – und es gab im anderen Zug nur noch Stehplätze.
    Ich teile Deine Einschätzung: Aktuell passiert wirklich auf JEDER Fahrt irgendetwas. Ich freue mich schon auf meine Weihnachtsreise zu Muttern …

  2. Sehr ähnliche Situation bei mir diesen Sommer – ausgerechnet am heißesten Tag. Ich war unterwegs von Mainz nach Düsseldorf. Das dauert normalerweise ca. 2 Stunden. Wegen Personen im Gleis musste der ICE kurz vor Koblenz eine Vollbremsung machen. Er fuhr dann nicht weiter, aber nicht wg. den Personen im Gleis, sondern weil ein Zug nach so einer Notbremsung immer erst untersucht werden muss und weil dabei der Austritt von Hydraulikflüssigkeit festgestellt worden ist. Der ICE wurde evakuiert, nur gab es keinen Ersatzzug. Alle ca. 400 Fahrgäste ballten sich auf einer kleinen Wiese neben dem Zug. Feuerwehr und Polizei rückten an, denn bei der Hitze drohten die Leute zu kollabieren. Es gab KEINERLEI Infos dazu, wie, wann und wo es weitergehen sollte. Nach gut zwei Stunden wurden wir aufgefordert, zu einer Firma zu wandern (Rhenser Mineralbrunnen) und auf dem dortigen Firmengelände zu warten. Wieder vergingen zwei Stunden, ohne dass sich irgendetwas tat. Taxen waren nicht zu kriegen. Busse sollten kommen, kamen aber nicht. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll. Ich quatschte einen LKW-Fahrer der Mineralbrunnenfirma an, mit dem ich mich vorher schon kurz unterhalten hatte. Ich wusste, dass der Feierabend machen wollte und fragte ihn, ob er mich nach Koblenz mitnehmen würde. Das machte er – und das kriegten drei Holländerinnen mit, die auch mitfahren wollten. Und so wurde das Auto des netten Mannes mit -zig Gepäckstücken beladen, auf der Rückbank quetschten sich zwei Holländerinnen und ich zusammen. Ab Koblenz Hbf. ging’s dann mit der Bahn weiter. Insgesamt war ich acht Stunden oder so unterwegs, und wenn ich mich nicht selbst darum bemüht hätte, irgendwie aus dem Nichts wegzukommen, in dem die anderen Fahrgäste wahrscheinlich noch einige weitere Stunden verbracht haben, dann hätte ich mein Ziel an diesem Tag wahrscheinlich gar nicht mehr erreicht.

    1. Ahhhh! Das war die Hölle. Ich wäre wahrscheinlich freiwillig kollabiert und hätte mich vom Rettungsdienst ins nächste Krankenhaus fahren lassen.
      Wie schon gesagt, ich war ja froh, dass der Zug nicht zuvor in einem der 26 Tunnel im Thüringer Wald steckengeblieben ist. Da kommen Autos und Busse nämlich nur sehr schwer bis unmöglich hin.

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