Die Geschichte vom Kanzlercafé

Zum Tod von Altbundeskanzler Helmut Kohl.

Ich hörte davon zum ersten Mal am Montag dem 30. Mai 1988 in der Pause vorm Biologieunterricht.

»Stell dir vor, der Kohl war gestern in Saalfeld«, raunte man sich unter vorgehaltener Hand im Klassenzimmer zu.

»Wer? Der Kohl? Du spinnst.« Mein ungläubiges Kopfschütteln wurde ignoriert und alle Informationen zusammengetragen, die man gehört hatte: In der Darrtorstrasse hätten sie geparkt, die schwarzen Limousinen. Und dann wäre Kohl auf den Marktplatz gegangen mit seiner Frau und seinen Söhnen. Mindestens drei aus der Klasse gaben vor, jemanden zu kennen, der dabei gewesen sei.

Der Bundeskanzler der BRD in der DDR und dann auch noch in meiner Heimatstadt Saalfeld. Ich konnte das nur schwerlich glauben. Mir als Vierzehnjährige gingen viele Fragen durch den Kopf. Warum sollte er ausgerechnet hierher kommen und vor allem durfte der das? Wenn es wirklich Bundeskanzler Helmut Kohl war, was hat er an einem Sonntagnachmittag in Saalfeld gemacht?

Im Marktcafé hätte er gesessen und Torte gegessen. Man hätte für ihn extra anderes Besteck organisiert. Weil das überall vorherrschende Alubesteck nicht nur unansehnlich war, sondern auch unangenehm werden konnte, wenn man damit einer Amalgamplombe zu nahe kam.

Trotz aller Beteuerungen, dass das wirklich passiert wäre, glaubte ich meinen Mitschülern nicht. Die Lehrer, sofern sie davon wussten, durften oder wollten nicht darüber reden. Erst als ich nach Hause kam und meine Eltern die gleiche unglaubliche Geschichte erzählten, wurde mir bewusst, dass an der Sache tatsächlich etwas dran sein musste.

Fortan nannte man das Café am Markt »Kanzlercafé«. Fotos, die den Besuch bezeugten, hingen dort an der Wand. Aber das war schon nach der Wende von 1989. Und auch über die wahren Umstände der Reise von Bundeskanzler Helmut Kohl erfuhren die Saalfelder erst sehr viel später. 1999 besuchte Helmut Kohl Saalfeld ein zweites Mal – offiziell für einen Wahlkampfauftritt – da war er kein Bundeskanzler mehr.

Die OTZ hat vergangene Woche mit einem sehr schönen Artikel an den Besuch des ehemaligen Bundeskanzlers in Saalfeld erinnert. Kohlbesuch-OTZ

1 thought on “Die Geschichte vom Kanzlercafé

  1. Ich habe ihn zwei mal live erlebt in meiner Stadt, da war er auch schon kein Kanzler mehr. Trotzdem hatte er eine gewisse Ausstrahlung. Und auch eine bestimmte Art von Humor, die bei den Reden sehr unterhaltsam sein konnte.

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