Vielleicht kennt das jemand: man hat eine Entscheidung getroffen und ist sich im Nachhinein unsicher, ob es auch wirklich die richtige Entscheidung war. Diese bohrende Unsicherheit, das Abwägen der Vor- und Nachteile beschäftigt mich momentan jeden Tag.
Ich hatte ja meinen Job hingeschmissen und nach 15 Jahren Selbstständigkeit als Ingenieur wieder eine feste Stelle angenommen. Nach beinahe zwei Monaten bin ich immer noch nicht dort angekommen, wo ich mich gesehen habe. Einerseits ist es toll, nicht mehr fünf Uhr morgens aufstehen zu müssen, damit man um 8 Uhr am Arbeitsplatz ist. Es ist auch schön nicht mehr mit Zug, S-Bahn, U-Bahn, Bus durch die Gegend zu fahren, sich über Verspätungen und unfreundliche Fahrer zu ärgern oder im S-Bahnlotto am Münchner Ostbahnhof zu verlieren. Stattdessen genieße ich es mit dem Fahrrad morgens an der frischen Luft durch die Natur zu fahren, den Vögeln zuzuhören oder zu beobachten wie der Blumenteppich im Wald jeden Tag ein wenig wächst. Inzwischen stellt sich auch der Trainingseffekt ein und brauche ich auch keine 25 Minuten mehr zur Arbeit sondern nur noch 13.
Das ist alles schön und gut, wenn es da nicht ein paar Schattenseiten gäbe, Kleinigkeiten die ich vermisse und Dinge die nicht ganz so befriedigend sind. Dazu zählt der Blick aus dem Fenster. Bisher saß ich an einem großen Fenster im 4. Stock und hatte einen coolen Blick über Martinsried. Da war immer irgendwas Interessantes zu sehen. Jetzt kann ich ohne Hilfe nicht mal das Fenster öffnen, weil ich schlicht nicht hinkomme. Und wenn ich dann doch mal aus dem Büro im Erdgeschoß nach draußen schauen kann, blicke ich auf die Fassade einer Werkhalle.
Nach wie vor nerven tut mich auch der neun Stunden Tag. Ich würde gern früher anfangen, das geht aber nicht. So bin ich gerade mal eine Dreiviertelstunde früher daheim, als vorher.
An sich gefällt mir die Arbeit ja, wenn ich denn mal einen richtigen Auftrag bekomme und so ein Haus komplett durchplanen kann. Aber das ist selten. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal über zu einfache Tätigkeiten beschweren würde, aber irgendwie fühle ich mich einfach nicht gefordert. Ich habe bisher weitaus kompliziertere Sachen gemacht und diese Komplexität fehlt mir einfach. Ich kann mein Hirn nicht so anstrengen, wie ich möchte und das ist unbefriedigend. Außerdem vermisse ich meine Kollegen, mit denen ich 15 Jahre zusammengearbeitet habe.
Über ein paar andere Dinge, die mich noch stören, kann und möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen. Das gehört nicht hierher. Ich bin unsicher, was ich machen soll. Zurück ist auch keine Lösung, also muss ich da jetzt durch. Vielleicht gibt sich auch vieles mit der Zeit. Wir werden sehen. Zufrieden bin ich mit der Situation bisher nicht.
Ich kenne das Problem, nur umgekehrt: Von der Routine der im Prinzip immer gleichen Tätigkeit direkt ins kalte Wasser der iterativen Arbeit in Projekten mit für mich fast immer völlig neuen Themen, raus aus dem ruhigen Einzelbüro und rein in die Hektik des Großraumbüros mit einem Dutzend Kollegen um mich rum… Das war nicht einfach und es hat mehr als nur zwei Monate gedauert, bis ich dort einigermaßen angekommen bin. Das mit dem Großraumbüro ist jetzt kein Problem mehr (dieses Raumkonzept wurde aufgegeben), aber die Hektik ist nicht geringer geworden und die Anforderungen werden eher immer noch größer. Manchmal wünsche ich mich in die kuscheligen alten Zeiten zurück, aber nicht ernsthaft. Für meine persönliche Entwicklung war der Wechsel auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Aber wie gesagt: Es hat lange gedauert, bis mir das klar geworden ist. Vielleicht macht’s bei dir ja noch „klick“ oder es ergeben sich neue Möglichkeiten? Ein halbes Jahr würde ich dem neuen Job erstmal Zeit geben.
Ja, ich glaube auch, dass der „Kulturschock“ des Wechsels eine Weile braucht. Sowohl, um richtig realisiert zu werden, als auch um wieder abzuebben. Ging beim Wechsel von kleiner Firma zu Großkonzern auch so.
Schwierig ist glaube ich nur das Erkennen des Unterschieds zwischen „Kulturschock“ und echter „Inkompatibilität“ mit dem neuen Job. Das ist nicht immer so einfach…
Früher war ich auch ein paar Jahre lang selbstständig, keinem verantwortlich als der Familienkasse. Wir hatten diesen Laden mit dem originellen Namen „Yeti und Yak“ in Heidelberg: Bücher über Tibet und Buddhismus, Thangkas, Räucherstäbchen und so Zeugs. Gerade als er zu funktionieren begann, meldete die BG Chemie Eigenbedarf an und der Umzug funktionierte nicht … nebenbei habe ich dann sowieso immer Deutsch für Ausländer unterrichtet. Eine wilde und anstrengende Zeit ohne Krankentage.
Der Übergang in den Schuldienst, noch dazu in einem anderen Bundesland und an einen anderen Schultyp, für den ich nicht wirklich ausgebildet war, fiel mir ausgesprochen scher, die anarchistische Ader behielt ich lange.
Fünfzehn Jahre später habe ich eine neue Balance stabilisiert. Die Eierschalen sind geblieben, ich bin anders als viele ruhigere Kollegen … habe beruflich im Lauf der Jahre „Jobs“ gesammelt, bei denen ich Abwechslung hab, und entlaste mich durch meine eigenbestimmten Fanaktivitäten, die du ja kennst (Feuer mit Feuer bekämpfen, Mehrarbeit zur Entspannung). Als Selbstständige könnte ich das in der Form nicht. Vielleicht kannst du dich ebenfalls durch Umlagern deiner Energien stabilisieren.