Provinzieller Aktionismus

Die Bewohner des Örtchens in dem wir wohnen, sind schon etwas eigen. Das behaupten sogar die Leute aus den Nachbardörfern. Auch ich habe das schon selbst zu spüren bekommen und momentan geht es wieder heiß her.

Zur Zeit gibt es zwei große Themen, die den Ort bewegen bzw. die Bevölkerung. Da ist zum einen der Bürgerentscheid, den ein paar Aktivisten anstreben, in dem es um die Ansiedlung eines REWE- und eines Rossmann-Marktes geht. Einige glauben, dass deswegen die »Innenstadt« ausbluten wird. (Das ist sie schon längst.) Was viele aber meiner Meinung nach vergessen ist, dass 2012 mit der Schleckerpleite die beiden Drogeriemärkte starben und im vorletzten Jahr auch noch der Penny zu gemacht hat. Geblieben sind ein Lidl und drei Edeka-Märkte, wovon einer (in der Ortsmitte) 2018 schließen wird. Ansonsten ist außer einem NKD und ein paar Klamottenläden nicht mehr viel los. Wir persönlich frequentieren häufig den Bioladen, aber auch da gibt es nicht alles. Die Betreiberinnen des Bücher- und Spielzeugladens sind über siebzig, des Weiteren gibt es noch zwei Bäcker und zwei Metzger, ein Haushaltswarengeschäft und einen kleinen Baumarkt auf der grünen Wiese. Keine optimalen Einkaufsmöglichkeiten also. Wenn ich meinen Perry kaufen will oder mal eine DVD oder Drogeriewaren, muss ich in die Kreisstadt fahren. Das sind immerhin 12 km und die Parkmöglichkeiten dort sind eher schlecht als recht. Für eine Touristengemeinde mit sechstausend Einwohnern (im Winter) und zehn- bis zwölftausend (im Sommer) ist das Angebot ungenügend. Machen wir uns nichts vor, die Ansiedlung eines weiteren Lebensmittel- und eines Drogerie-Marktes ist also zwingend. Das Argument, das damit der Ort ausstirbt ist schlicht falsch. Denn in den vergangenen Jahren wurden sukzessive Geschäfte geschlossen, obwohl sich kein großer Markt angesiedelt hat, sondern im Gegenteil sich die Einkaufsmöglichkeiten reduziert haben. Was das Sterben der Geschäfte vorantreibt, sind vor allem die abartig hohen Mieten, die hier verlangt werden. So machen die meisten kleinen Läden nach ein zwei Jahren wieder zu. Wer seinen Laden nicht im eignen Haus hat, hat schlechte Karten. Das ist zumindest meine Beobachtung. Deshalb werden wir uns auch nicht auf den ausliegenden Unterschriftenlisten eintragen.

Aber ich sprach ja von zwei Aufregern. Der zweite ist so gut, den will ich niemandem vorenthalten. Da las ich doch letztens, dass man den örtlichen Bahnhof für 500.000 Euro behindertengerecht ausbauen will. Wow, dachte ich mir, das ist in etwa so unsinnig wie Schnee im Sommer. Erst von wenigen Jahren wurde das Bahnhofsgebäude an einen Privatinvestor verkauft, was dazu führte, dass es jetzt keine Wartehalle mehr gibt, sondern nur noch eine Überdachung wie an einer Bushaltestelle. Dann ist die Zufahrt von den Autos und Anhängern des neuen Grundstückbesitzers so zugeparkt, dass man kaum noch zum Bahnhof hin kommt. Es gibt weder einen befestigten Fußweg, noch ausreichend Park- und Wendemöglichkeiten. Busse kommen überhaupt nicht mehr durch. Aber es soll unheimlich viel Geld in den Ausbau des Bahnsteigs gesteckt werden, weil es gerade Fördermittel gibt. Der größte Witz an der Geschichte kommt aber noch. Die »Bimmelbahn«, die von hier in nur eine Richtung fährt, ist mindestens 30 Jahre alt, wenn nicht noch älter. Vergangenes Jahr hat man die Sitze neu bezogen, LCD-Displays angebracht und alles ein wenig aufgehübscht. Aber der Zutritt zu den Wagons führt nur über eine steile mehrstufige Treppe. Die Fahrzeuge sind gar nicht für Rollstuhlfahrer oder sonstig Gehbehinderte geeignet. Und wer weiß, wie lange die Deutsche Bahn, bei den geringen Fahrgastzahlen eigentlich noch die Strecke betreiben wird. Weil mit Auto oder Bus (sofern einer fährt) ist man deutlich schneller.

1 thought on “Provinzieller Aktionismus

  1. Was den Bahnhof betrifft bin ich zwiegespalten. Irgendwelche Aufsichtbehörden kassieren immer mehr Leistungen von Gemeinden ein, zurecht oder auch zu unrecht. Von daher verstehe ich, dass sich Gemeinden auf alles stürzen was gefördert wird. Mag das auch unsinnig sein, aber wenn das Geld nicht bei euch „versenkt“ wird, dann auf irgend einer anderen Großbaustelle (BER, S21, Elbphil. etc.). Von daher stehe ich mittlerweile auf dem Standpunkt nehmen was man bekommen kann, was die klammen Gemeindekassen angeht. Und wenn es danach einfach nur schmuck und neu aussieht, das ist ja auch schon was.

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