Als ich im Dezember 1998 den Wintereinbruch in New York City erlebte, wunderte ich mich sehr. Drei Schneeflocken und die Stadt versank im Chaos. Gesperrte Flughäfen, unpassierbare Straßen, ausgefallene Züge waren für Tage Normalität in der Stadt. Die New Yorker nahmen es gelassen und ich staunte, wie ein solches eigentlich hochtechnologisches Land wie die USA eine derart marode Infrastruktur haben konnte, dass ein paar Schneeflocken ausreichten, um es ins Chaos zu stürzen.
Heute erinnere ich mich wieder daran. Ich war am Wochenende mit dem Zug unterwegs, eigentlich wollte ich nicht fahren, weil ich mich nicht so gut gefühlt habe. Aber wenn die Eltern beide krank sind, da muss man einfach nach ihnen sehen. Das Ende vom Lied – ich bin am Montag nicht wieder nach Hause gekommen, weil bei der Bahn im Süden nichts mehr ging.
Dass es am Samstag schlimm war und es zu Zugausfällen gekommen ist, geschenkt. Das war reichlich Schnee der da innerhalb kürzester Zeit gefallen ist. Aber dass das Problem am Montag immer noch bestand und ich nicht zurückfahren konnte, war schon ärgerlich. Und eigentlich hatte mir die Bahn geraten, heute auch noch nicht zu fahren und lieber auf morgen zu warten. Wie stellen die sich das vor? Ich muss arbeiten gehen. Soll ich deswegen extra Urlaub nehmen, weil die es nicht hinbekommen, eine Srecke zu räumen, die zu den wichtigsten Transitstrecken im Süden der Republik gehört. Was wäre das für ein Aufschrei gewesen, wenn man die A8 für vier Tage einfach dicht gemacht hätte, weil man nicht genug Räumfahrzeuge hat. (Gut, dass ist tatsächlich schon mal passiert, 2013 wurde ein Teil der Autobahn durch Hochwasser weggespült.) Den Aufschrei hätte man bis nach Berlin gehört. Doch dieses Mal – Nichts!
Ich bin heute morgen in den ersten Fernzug gestiegen, den ich erwischen konnte und bin auf gut Glück gen Süden gefahren. Ich fand beim Umstieg in den ICE sogar einen freien Platz, obwohl die BahnApp den Zug als überfüllt angezeigt hat. Der hatte dann zwar Verspätung, weil er auf der Strecke herumstehenden Güterzügen ausweichen musste, aber er kam zumindest in München an. Da war dann aber auch Schluss! Fahrten nach Traunstein oder sogar Österreich und Italien – Fehlanzeige! Die Passagiere strandeten in München.
Ich hatte im Vorfeld herausgefunden, dass zumindest die S-Bahnen vereinzelt wieder fuhren und stieg in die S6 nach Ebersberg. Die fuhr zwar auch nur bis Grafing Bahnhof, aber das war mir dann egal. Ich ließ mich dort von meinem Mann mit dem Auto abholen. Der hat extra eher Feierabend gemacht und ist die 70 Kilometer hin und mit mir wieder zurückgefahren. Ohne ihn wäre ich wohl nicht angekommen, zumindest nicht heute Nachmittag.
Laut den Verantwortlichen fehlte es an Technik und an Personal. Die Politik schreit schon nach einer Untersuchungskommission, obwohl sie es war, die die Bahn Jahrzehntelang zum Sparen gezwungen hat. Es kann nicht sein, dass für solche extremen Notfälle keine Technik da ist. Das waren ein paar Zentimeter mehr Schnee als üblich. (Wobei ich behaupte, dass es bei uns in der Region 2019 noch viel mehr geschneit hatte.) Was wollen die denn machen, wenn es wirklich mal eine richtige Katastrophe gibt? Vermutlich geht dann Jahre oder Monate nichts mehr. Siehe Ahrtal.
Wir werden uns wohl an solche Szenarien gewöhnen müssen und das nicht nur auf der Schiene. Unser Land ist marode, da bröckelt nicht mehr nur der Putz, sondern da stürzen Decken von Hörsälen ein (Uni Marburg), da gehen Gasleitungen reihenweise kaputt (fünf Havarien im Saalfeld in den letzten sechs Monaten) vom Straßen und Schienennetz ganz zu schweigen. Das alles ist eine Katastrophe mit Ansage. Die Politik weiß das seit Jahren, gemacht wurde nichts dagegen. Ausbaden muss es der Steuerzahler und zwar gleich doppelt. Einmal finanziell durch steigende Steuern und zweitens am eigenen Leib wenn er frierend irgendwo in der Pampa stecken bleibt.
Um das ganze Ärgernis noch zu ergänzen: Die Informationspolitik der Deutschen Bahn ist bekanntlich nicht die beste, aber die Null-Information der Bayrischen Regio Bahn toppt das noch mal um Längen. Nicht nur das es genau zwei Meldungen auf der Internetseite der BRB gab, am 2.12. und am 4.12. In keiner gab es verwertbare Infos oder gar Prognosen. Sinnigerweise fiel ausgerechnet heute noch das Auskunftssystem aus. Zugausfälle und Verspätungen wurden nicht angezeigt. Ein Schelm wer böses dabei denkt!
Es ist wirklich ein Trauerspiel. Nur gut, dass ich meine Homepage schon vor Jahren dicht gemacht habe – ich käme aus dem Schreiben neuer „Spaß mit der Deutschen Bahn“ – Artikel gar nicht mehr heraus! Und dabei bin ich mit meiner Erwartungshaltung bescheiden geworden. Ich bin ja schon froh, wenn überhaupt irgendein Zug am Bahnhof einfährt und in der Richtung weiterfährt, in die ich reisen möchte. Wenn der Zug dann auch noch die Bahnhöfe anfährt, die er anfahren sollte, und nicht umgeleitet wird oder unterwegs liegenbleibt / evakuiert wird / zum Ausgangspunkt zurückfährt, ist mein Glück vollkommen!
Ich habe eine E-Mail an ein paar private TV-Stationen geschrieben und das Konzept für eine neue Fernsehshow eingereicht. Arbeitstitel: „Urban Survival Germany“ (zielgruppengerecht in Neudeutsch). Die Kandidaten müssen es von einem Startpunkt zu einem Endpunkt schaffen und dürfen dabei nur die marode Infrastruktur in Deutschland benutzen. Könnte ein Hit werden …
Ich melde mich freiwillig als Kandidat.
Und dabei ist besonders tragisch, dass der Staat so hohe Einnahmen hat wie noch nie. Leider wird das Geld falsch verwendet. Entweder für Transferleistungen, oder für Prestigeprojekte.
Das ist wirklich alles extrem ärgerlich und es muss etwas dagegen gemacht werden. Diese Zugfahrt war aber vorhersagbar, daher bin ich über den Ablauf nicht verwundert.
Dass die Fahrt so verlaufen würde, war mir bewusst. (Sie ist sogar reibungsloser verlaufen, als ich befürchtet habe. Ich hatte starke Bedenken, dass ich überhaupt von Nürnberg nach München kommen würde.) Dass mein Mann mich im Zweifelsfall abholt, war da schon eingeplant. Dennoch musste ich irgendwas unternehmen, schließlich bin ich meinem Arbeitgeber verpflichtet. Die ausgefallenen Tage muss ich nachholen.
Übrigens, wie ich mitbekommen habe, war die Situation auch am Mittwoch und Donnerstag noch unverändert schlecht.