Das Westpaket

Heute möchte ich mal wieder aus meiner Kindheit erzählen. Ich kam darauf, weil ich in den vergangenen Wochen zwei Carepakete erhalten habe. Was und von wem ist an dieser Stelle nicht wichtig, aber es erinnerte mich daran, wie es war, als Kind ein Paket aus dem Westen zu bekommen.

Sie kamen meist nur zwei oder dreimal im Jahr, aber es war immer aufregend. Man fragte sich, was wohl drin sein wird. Meistens waren die Westpakete an meine Oma adressiert. Weil ich nach der Schule immer bei ihr war, bekam ich das natürlich als einzige Enkelin direkt mit und durfte dabei sein, wenn ausgepackt wurde. Allein das Öffnen eines Westpakets glich einer heiligen, fast rituellen Handlung. Meist war der Karton zum Schutz zusätzlich in braunes Papier eingeschlagen und mit einem Hanfstrick verschnürt. Heutzutage ist das gar nicht mehr erlaubt, das mit dem Strick. Man löste zunächst die Knoten, so dass die Schnur nicht beschädigt wurde. Aufschneiden kam überhaupt nicht in Frage, weil man den Strick später noch verwenden konnte. Weil ich kleine Finger hatte, durfte ich das immer machen. Die Knoten waren manchmal ganz schön fest, und es dauerte etwas, sie zu lösen, aber ich bekam das hin. Wenn nicht, half Oma mit einer Häkelnadel nach.

Dann wurden vorsichtig die Klebestreifen des Packpapiers gelöst und der eigentliche Karton mit dem Inhalt entblößt. Das Papier wurde gefaltet und ebenfalls für den späteren Gebrauch aufbewahrt. Was mir mal wieder vor Augen führt, wie verschwenderisch wir derzeit mit den Dingen umgehen. Heute hebt kaum einer mehr Geschenkpapier oder Packpapier auf. Wenn, dann höchstens mal einen Karton oder einen großen Umschlag, in dem man wieder etwas versenden kann. In der Regel landet alles im Altpapier.

Zurück zum Westpaket. Nachdem die schützende Hülle um das Paket gefallen war, entfaltete sich dieser unbeschreibliche Geruch, den ich heute noch in der Nase habe. Es war diese spezielle Mischung aus Seife und Kaffee, die man heute nirgendwo mehr riechen kann. Es roch gleichzeitig fremd aber auch verlockend. Ich stellte mir vor, dass es im Westen überall so riechen musste. Habe aber später festgestellt, das dem nicht so ist. Manchmal erahne ich diesen Geruch, wenn ich in meiner Heimatstadt das große Marktkauf-Einkaufscenter besuche.

Da lag nun der ausgepackte Karton, meist eine Verpackung für Waschmittel oder Lebensmittel. Kartonagen, wie man sie heute noch im Supermarkt hinter der Kasse mitnehmen kann. Oftmals hatte sich die Verwandtschaft oder Bekanntschaft aus dem Westen nochmals die Mühe gemacht und einen Strick um den bloßen Karton gebunden, dann waren wieder meine Künste gefragt. Heute denke ich, dass man das tat, um den Damen im Zollpostamt mehr Arbeit zu bescheren und sie eventuell davon abzuhalten, das Paket überhaupt zu öffnen. Es war nämlich so, dass Pakete, die vom Westen in den Osten gingen, stichprobenartig kontrolliert wurden. Stichprobenartig deshalb, weil man sofort merkte, ob das Paket geöffnet worden war oder nicht. Denn nicht alle Pakete, die uns erreichten, waren tatsächlich auch geöffnet worden. Außer, manch Genossin oder Genosse (den Job durften nur staatstreue Parteimitglieder machen) hatten sich nur geschickter angestellt, wer weiß. Jedenfalls näherte man sich dem Inhalt eines Westpaketes nur Schritt für Schritt, was die Vorfreude vermehrte.

Erst nach dem Öffnen des Kartons wurde klar, ob es sich um ein »Seifenpaket« oder ein »Fresspaket« handelte. Ein Seifenpaket enthielt Seife, Waschmittel, Shampoo (ich mochte das mit Apfelduft), Kosmetikartikel aber auch Secondhand-Kleidung, Spielzeug oder Bücher. Wobei Letzteres eher weniger, weil man immer damit rechnen musste, dass eines der Bücher in der DDR auf dem Index stand und entweder rausgenommen oder das Paket an den Absender zurückgeschickt wurde. Ich kann mich nur an zwei Bücher erinnern, die ich auf diesem Weg bekommen habe: darunter »Heidi« von Johanna Spyri (die Schneiderbuch-Ausgabe) und ein Comic mit der Biene Maja, beides befindet sich immer noch in meinem Besitz. Über den Inhalt von Seifenpaketen freuten sich eher die Erwachsenen. Als Teenager profitierte ich höchstens von den Klamotten. So stammt meine erste Jeans aus einem Westpaket. Sie war mir zwar gute 30 Zentimeter zu lang, dafür aber eine echte Levis. Auch an ein T-Shirt mit Rollschuhen im Glitzerdruck kann ich mich erinnern, vermutlich besitze ich auch das noch irgendwo.

Ein Fresspaket war für mich als Kind dagegen eine richtig tolle Sache. Mit klopfendem Herzen packte ich die Schokolade, den Kaffee, die Kekse oder Bonbons aus. Allein die Verpackung der Waren beeindruckte. Alles glänzte, war bunt und fühlte sich glatt an. Vor allem roch es gut. Verpackungen in der DDR bestanden, sofern vorhanden, nur aus braunem oder grauen Recycling-Karton. Mir war klar, dass ich den Inhalt mit meinen Cousinen und Cousins teilen musste. Wobei ich Glück hatte, weil die meisten schon zu alt und einige bei den Staatsorganen der DDR tätig waren und das gar nicht hätten nehmen dürfen. Egal, es gab immer etwas, das für mich abfiel, ob es die Duplos mit den Sammelbildchen waren, die Marshmellows mit Kokos oder die Tafeln Ritter Sport- oder Milka-Schokolade. Die durfte ich natürlich nicht sofort und auf einem Schlag essen. Nein, die wurden über Monate eingeteilt. Ich kann mich erinnern, dass mich meine Mutter einmal sehr geschimpft hat, weil ich eine halbe Tafel Schokolade auf einmal gegessen hatte und das vor dem Essen. Man muss dazu sagen, dass ich als Kind stets ein schlechter Esser war, dürr und mager und es immer Kampf beim Abendrot gab, bis ich wenigstens eine Scheibe Wurst- oder Käsebrot gegessen hatte.

Ganz oft war in den Paketen auch Geld versteckt. Entweder in beigelegten Briefen oder Karten, wobei die auch verschwinden konnten, wenn das Zollpostamt sie entdeckte. Daher wurde das Geld versteckt und man musste die Verpackungen immer ganz genau unter die Lupe nehmen. Einmal fanden wir 50 DM in einer Packung mit Teebeuteln.

Ein Westpaket nur für mich bekam ich ab und zu an meinem Geburtstag von einer entfernten Bekannten meiner Großmutter. Das war meist ein Schuhkarton voll Süßigkeiten, Buntstiften und anderen Waren, die man in der DDR nicht kaufen konnte. Zur Konfirmation bekam ich eines mit Schmuck, einer Handtasche, einem schönen Halstuch und anderen Sachen, die sich ein junges Mädchen wünschte. Irgendwie schaffe ich es ich auch nach dreißig Jahren nicht, mich davon zu trennen, weil diese Geschenke noch heute für mich eine Bedeutung haben. Das mögen nicht einmal diejenigen verstehen, von denen ich die Dinge damals bekommen habe, sofern sie noch leben. Wobei ich im Nachhinein festgestellt habe, dass wir mehr Westpakete von Bekannten erhalten haben, als von der nahen Verwandtschaft.

So war das mit dem Westpaketen. Sie haben den Menschen in der DDR viel Freude gebracht und oft auch aus kleinen Nöten heraus geholfen. So wie der Katalog mit Kaminen, als mein Vater einen bauen wollte und kein Muster hatte. Der Kamin wurde nach einem Bild aus dem Katalog errichtet und brennt heute noch.

3 thoughts on “Das Westpaket

  1. Schöne Erinnerung!

    Ich habe nie Pakete an Familienangehörige in die DDR verschickt – wir hatten keine Familie im Osten, die ganze Familie war im Schwäbischen verankert. Aber ich schickte in den 80er-Jahren eine Reihe von Buchpaketen in die DDR …

  2. Ich finde deine Berichte immer besonders interessant, zumal beim Lesen auch bei mir Kindheitserinnerungen wach werden. Meine Eltern haben früher oft Pakete zu den Verwandten in Aschersleben geschickt. Wir haben manchmal aber auch welche von ihnen bekommen. Für mich war ab und zu etwas dabei – einmal eine Art UFO aus grünem Plastik mit gelber Pilotenkanzel, das sogar fahren konnte. Das besitze ich leider nicht mehr. Ein Buch war mal dabei, das ich bis heute in Ehren gehalten habe: „Msuri“ von Götz R. Richter. Das fand ich absolut faszinierend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert