Chaos zwischen den Gleisen

– Murphys Gesetz: Wenn eine schlechte Sache glimpflich ausgeht, folgen mindestens zwei schwerwiegendere Sachen obendrein –

Man sollte die Deutsche Bahn nicht loben, wie ich es in meinem Blogeintrag vom 20. November tat.

Meine Rückfahrt aus Wolfenbüttel gestaltete sich etwas chaotisch. Wobei »etwas« schlicht untertrieben ist. Dass, was ich an diesem Abend erlebte, war das Abenteuer schlechthin.
Begonnen hat alles ganz harmlos um halb drei nachmittags, mit der Fahrt in der Regionalbahn aus Wolfenbüttel nach Braunschweig, die ich zusammen mit ein paar Seminarteilnehmern in lustiger Runde erlebte. In Braunschweig hatte mein Anschlusszug wenige Minuten Verspätung und war ziemlich voll. Deshalb stieg ich auch schon in Göttingen in den ICE nach München um und nicht erst in Fulda. Am Göttinger Bahnhof musste ich zwar eine Viertelstunde in frostiger Luft auf den verspäteten ICE warten. Doch danach ging die Fahrt flott voran, so dass ich mir noch nicht all zu viele Sorgen wegen meiner Umstiegszeit in München machte.

Kurz hinter Würzburg wurde der Zug plötzlich langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Für fünf Minuten rührte sich nichts, dann kam die seltsamste Durchsage, die ich in meiner gesamten Bahnfahrer-Vergangenheit gehört habe:
»Wegen einer Fehlleitung im Stellwerk hat sich unser Zug verfahren und muss zurücksetzen, um wieder aufs richtige Gleis zu kommen. Die Weiterfahrt verzögert sich daher auf unbestimmte Zeit.«
Ungläubiges Gelächter im Großraumabteil. Handys wurden gezückt und Twitter und facebook-Einträge geschrieben. Auch ich notierte mir die Meldung. Das musste unbedingt in die DB-Rubrik meines Blogs. Sorgenvoll sah ich zur Uhr. Es war halb sechs, wir hatten bereits 15 Minuten Verspätung. Der Umstieg in München würde eng werden. Ich telefonierte gerade mit meinem Mann, als, siehe da, der Zug plötzlich anfuhr, doch nicht wie angekündigt zurück, sondern nach vorn. Hieß das, dass wir jetzt in der falschen Richtung unterwegs waren? Nach dem Queren mehrerer Weichen, bei denen der Zug heftig durchgeschüttelt wurde, waren wir wohl doch wieder auf dem richtigen Gleis, denn es erklang die erlösende Durchsage des Schaffners, dass das vom Stellwerk verursachte Gleisproblem beseitigt wäre. Verspätung jetzt 25 Minuten. Damit würde ich den Meridian um 19:44 Uhr in München nicht mehr bekommen. Egal, ich war froh, dass es nicht noch länger gedauert hatte. Vor Nürnberg wurden wir noch von einem vorausfahrenden Zug aufgehalten und kamen am HBF mit einer Verspätung von einer halben Stunde an.

Nur Minuten nach unserer Ankunft, erklang folgende Hiobsbotschaft des Zugbegleiters:
»Wegen einer Strecksperrung zwischen Ingolstadt und München verzögert sich die Weiterfahrt unseres Zuges auf unbestimmte Zeit. Grund hierfür polizeiliche Ermittlungen nach einem Personenschaden.«
Gemeinschaftliches Aufstöhnen. Ich bereitete meinen Mann am Telefon schon mal auf einen langen Abend vor. Irgendwann ging ich ins Bordbistro, in dem auf Grund des Ansturms die meisten Speisen bereits ausverkauft waren und ich noch das letzte Sandwich erwischte. Die Durchsagen im Zug wurden immer rätselhafter. Als Gründe für die Sperrung wurden plötzlich ein Fund oder Hund (so genau war das nicht zu verstehen) im Gleis genannt. Irgendwann wurde durchgesagt, dass unser Zug über Augsburg umgeleitet werden würde. Doch dann bewegte sich sehr lange nichts.
Vom Bahnsteig waren immer mal wieder Durchsagen zu den Folgezügen zu hören, die wegen Gleisbelegung nicht einfahren konnten. In dem Moment als der ICE auf dem Nachbargleis die Türen schloss und in Richtung Augsburg abfuhr, kam die erfreuliche Nachricht, dass die Streckensperrung jetzt aufgehoben wäre.
Ein Hoffnungsschimmer zog am Horizont auf. Sollte ich tatsächlich noch den eine Stunde späteren Meridian bekommen und um 22:30 zu Hause zu sein?

Spätestens als links neben uns, der ICE nach München vor uns in Richtung Ingolstadt abfuhr, schwante mir Böses. Auf dem Gleis auf der anderen Seite des Bahnsteigs fuhr bereits der nächste ICE nach München ein. Mein Nachbar meinte noch, dass man den Zug ganz sicher nach uns würde fahren lassen. Mein, langjährig geschulter, Bahninstinkt sagte mir etwas anderes. Ich spöttelte, dass wir bestimmt hinter dem Zug abfahren würden und so wie ich die Bahn kenne, wahrscheinlich auch noch über Augsburg, was die Fahrt nochmals um 40 Minuten verlängern würde. Er konterte, dass die von der Bahn sicher nicht so gemein wären, weil die Strecke doch schließlich jetzt wieder frei ist.
Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als die Durchsage kam, dass wir die Fahrt jetzt fortsetzen würden, aber über Augsburg, statt über die Schnellstrecke nach Ingolstadt.
In diesem Moment sah ich meine Felle davonschwimmen. Wenn ich in diesem Zug blieb, würde ich nie und nimmer meinen Anschlusszug nach Salzburg bekommen und wahrscheinlich erst weit nach Mitternacht zu Hause sein. In panikartiger Eile warf ich iPad und Wasserflasche in die Handtasche, schnappte meine Jacke und zog meinen Koffer aus der Ablage. Zum Glück saß ich in der Nähe des Ausgangs. Das Piepsen zum Schließen der Türen tönte schon aus den Lautsprechern, als ich mit einem todesmutigen Satz aus dem, noch stehenden, Zug sprang. Hinter mir hörte ich das Schmatzen der sich verriegelnden Zugtür, rannte zum gegenüberliegenden Bahnsteig und kletterte atemlos in den dort wartenden ICE. Der nur wenige Sekunden später in Richtung Ingolstadt anfuhr. Ich war gerettet. Mit etwas Glück bekäme ich noch rechtzeitig den Meridian um 20:44 Uhr …

Das Glück war mir an diesem Tag nicht hold. Ich verpasste den Zug um genau acht Minuten. Energielos schleppte ich mich ins nächste Café am Münchner Hauptbahnhof. 21:44 Uhr konnte ich dann endlich weiterfahren und traf fix und fertig um zehn nach elf in Traunstein ein, wo dann auch noch die Zugtür streikte und sich nur halb vor mir öffnen wollte. Ich hatte wohl kein besonders gutes Karma an diesem Tag. Mir war schlecht, ich fror und war außerdem so übermüdet, dass ich am liebsten noch im Auto eingeschlafen wäre.

Statt geplanter sieben Stunden, war ich neun Stunden unterwegs gewesen. Mein neuer Rekord, zwei Stunden Bahnfahren gratis. Blöderweise war ich mit einem kostenlosen Gutschein-Ticket unterwegs, somit konnte ich nicht mal mein Geld zurückfordern.

Schreiben zum Quadrat

Der letzte Seminartag in Wolfenbüttel stand ganz im Zeichen der angekündigten Schreibaufgabe. Zunächst erklärte Kathrin Lange noch kurz aber intensiv das Plotten von Romanen. Danach wurden die Aufgaben gestellt. Zur Wahl standen: die Schilderung einer Kampfszene innerhalb eines düsteren Waldes oder eines engen Durchgangs mit unseren Protagonisten und dreier Begleiter oder ein Dialog mit drei Personen, in dem das Besondere unserer Welt dem Leser deutlich wird. Für die Szene hatten wir nur 30 Minuten Zeit. Mein Kopf war von einer zur anderen Minute komplett leer und mich verließ ein wenig die Zuversicht. Außerdem fühlte sich die neben mir tickende Uhr wie der finale Countdown einer Bombe an. Ich stand kurzzeitig vor einer Panikattacke und wechselte den Platz.
Die Kampfszene kam für meinen Roman nicht in Frage, also blieb nur der Dialog. Zwei Minuten saß ich ratlos vor meinem iPad, bis mir eine Idee kam …

Als ich eine halbe Stunde später meinen Text vorlas, war das eine sehr seltsame Erfahrung. Denn ich las und las und las und begriff erst, nachdem ich fertig war, wie viel ich in dieser halben Stunde geschrieben hatte. Normalerweise bin ich eher der Langsamschreiber und jetzt hatte ich mindestens drei Normseiten geschrieben. Nachdem die Seminarleiter außer der Häufung von Adverbien nur die Reihenfolge der Adressierung kritisierten, war ich selbst verblüfft, wie gut die Szene funktionierte. Vielen meiner Mitstreiter war es ähnlich ergangen, denn sie trugen richtig tolle Texte vor.

Während wir die Szenen besprachen und auch während der Abschiedsrunde brach draußen der Winter aus. Dichter Flockenwirbel tanzte vor den Fenstern, nur um Minuten später von Sonnenschein abgelöst zu werden. Ein Wetter wie im April – nur kälter.
Mit einem opulenten Mahl beim Vietnamesen und vielen spannenden Gesprächen endete ein tolles Seminarwachende mal wieder viel zu schnell.

Ich ziehe ein durchweg positives Fazit zum Seminar »In der Meisterklasse«. Besonders fiel mir in diesem Jahr das hohe Niveau aller Teilnehmer und deren eingereichter Texte auf. Bei fünf Neulingen und zehn Wiederholungstätern im Alter zwischen 25 und 50 Jahren war eine sehr kreative und gut funktionierende Gruppe zusammengekommen. Sicher auch ein Grund für die schonungslose Ehrlichkeit mit der die Texte kritisiert wurden.
Ich fühle mich durch das Seminar auf ein höheres Level gehoben. Während ich im letzten Jahr mehr über stilistische und sprachliche Fehler gelernt habe, ging es dieses Mal um die Hohe Schule des Geschichtenerzählens. Was wohl daran lag, dass fast jeder der Teilnehmer schon in irgendeiner Weise publiziert hatte und die sprachlich-stilistischen Fähigkeiten bei allen sehr ausgeprägt waren. Die Arbeit mit den Profitexten fand ich zwar interessant, waren für mich aber weniger relevant, als die mit den Texten der Seminarteilnehmer. Von denen ich wiederholt fasziniert war. Es ist unglaublich, wie viele Leute richtig toll schreiben können. Da störte es mich auch nicht, dass der Anteil der Fantasy-Texte in diesem Jahr höher war.

Meisterhaft waren auch wieder die Dozenten. Kathrin Lange, Klaus N. Frick und Olaf Kurzmutz sind ein unschlagbares Team, die ein ganzes Wochenende jedem Seminarteilnehmer mit Ratschlägen und Lesetipps sehr professionell zur Seite standen und das beinahe rund um die Uhr. Von mir ein ganz großes Dankeschön.

Das meine Rückreise im Chaos endete, ist ein Grund, warum der Blogeintrag erst heute erscheint.