Ein Mann der von Frauen erzählt

»Die Römerin« von Alberto Moravia

Mein Interesse für Liebesromane und erotische Literatur wuchs spätestens, nachdem ich das Buch »Die Römerin« von Alberto Moravia gelesen hatte. 1988 kam ein Film heraus, in dem an der Seite von Gina Lollobrigida mein damaliger Lieblingsschauspieler Pierre Cosso mitspielte.

Von dem hübschen Franzosen, der mit den Filmen »La Boum 2« und »Cinderella 80« zu dieser Zeit viele weibliche Teenager geradezu in Ekstase versetze, war mein Zimmer mit Postern gepflastert. Es wurde von mir alles konsumiert, wo er mitspielte. Das war 1987/88 in der DDR allerdings etwas schwierig. Weil es den Streifen »Die Römerin« nicht sofort im Kino oder Fernsehen zu sehen gab, blieb mir zunächst nur die literarische Vorlage.

Hier spielt wieder die Stadtbibliothek eine wesentliche Rolle. Denn überraschenderweise gab es dort jede Menge Romane von Alberto Moravia, unteranderem die »Die Römerin«.

Die Protagonistin Adriana ist hübsch und weiß diese Eigenschaft für sich zu nutzen. Sie träumt von einem einfachen Leben, dass sie aus der Enge ihrer ärmlichen Existenz in Rom herausholt, mit Mann, Kind und kleinem Häuschen. Das bleibt Mitte der dreißiger Jahre im faschistischen Italien für viele Frauen ein Traum. Auch Adrianas Leben führt in eine andere Richtung. Sie wird zuerst zum Aktmodell später zur Hure. Sie verliebt sich in den politischen Aktivisten Giacomo und wird von einem gesuchten Mörder geschwängert.

Alberto Moravia zeichnet das Bild einer naiven Frau, der Politik und privater Aufstieg gleichsam egal sind. Sie sucht ein heiles Leben und hängt, anstatt etwas dafür zu tun, Kleinmädchenträumen nach. Sie ist ein Charakter, den man eigentlich hassen müsste, dennoch gelingt es dem Autor, dass man vor lauter Mitleid die Frau zu mögen lernt.

Weil ich einmal angespitzt, möglichst alles von dem Autor lesen wollte, lieh ich mir nacheinander alle vorhandenen Bücher aus. Dabei gefielen mir manche der Werke nicht einmal. Beim Lesen von »Die Gleichgültigen« langweilte ich mich ziemlich. Dennoch blieben mir Alberto Moravias Romane in positiver Erinnerung.

Moravia hatte ein Händchen für Frauenfiguren. Besonders wird das in dem Roman »Cesira« deutlich, einer alleinstehenden Frau, die in den Unbilden des Zweiten Weltkriegs überleben muss. In Schulaufsätzen in der Schule schrieb ich oft ausführlich über Moravias Romane. Meine Lehrerin verriet mir später, dass sie stets Angst hatte, ich würde es nicht in der vorgegebenen Zeit schaffen. Das ist mir nie passiert, obwohl ich den Text meist ein zweites Mal in Schönschrift aufschrieb, weil ansonsten keiner meine »Sauklaue« lesen konnte.

Spätestens 1990 war Schluss mit Alberto Moravia. Ich lernte zuerst Perry Rhodan kennen und später Star Trek, aber das ist eine andere Geschichte.

Teenagerliteratur aus dem Osten

»Wasseramsel« von Wolf Spillner

Wie bereits geschrieben, war es in der DDR schwierig, an gute Bücher zu kommen. Wer nicht gerade auf Sachbücher über Marxismus-Leninismus oder Weltkriegsliteratur stand, tat sich schwer spannendes Lesematerial im öffentlichen Buchhandel zu bekommen. Es wurden zwar sehr gute Bücher gedruckt, doch die Auflagenzahlen waren wahrscheinlich niemals ausreichend, um den Bedarf zu decken.

An den Schulen in der DDR gab es deshalb eine Einrichtung, die sich Buchklub nannte. Für einen geringen Geldbetrag konnte man Mitglied werden und durfte sich dafür aus einem Katalog mehrmals im Jahr ein Buch aussuchen. Nicht jeder in meiner Klasse nutzte diesen Service. Die einen, weil sie nicht gerne lasen, die anderen, weil sie mit den Inhalten der Romane nichts anzufangen wussten. Andere wiederum verfügten über genug Westverwandtschaft, die sie heimlich oder offiziell mit Literatur aus dem Westen versorgte. Für den Rest blieb nur der Buchklub. Die Romane, die es dort gab, waren keineswegs schlecht und sie waren immer altersgerecht.

»Wasseramsel« gehört zu den Büchern, die ich auf diesem Weg erwarb. Zunächst war es das gezeichnete Cover, was mich ansprach. Der Roman ist mit wunderschönen Bleistiftzeichnungen illustriert. In erster Linie geht es um Freundschaft und die erste Liebe. Auf der anderen Seite wird das Leben in der DDR glaubhaft geschildert. Die Probleme, mit denen die Protagonistin Ulla zu kämpfen hat, waren verbreiteter, als uns die Regierung vormachen wollte:

Ulla ärgert sich nämlich, als an ihrem Lieblingsplatz im Wald ein Wochenendhaus gebaut und der kleine Bach für eine Forellenzucht angestaut wird. Dort hatte sie Winfried kennengelernt und sich in ihn verliebt. Sie ist entsetzt, als sie herausfindet, dass Winfrieds Vater der Generaldirektor eines großen Betriebes das Grundstück von der Gemeinde zugesprochen bekommen hat. Jeder Bewohner des Ortes kuscht vor ihm, nur Ulla nicht. Sie versucht mit Hilfe von Winfried und der Fotografie einer Wasseramsel, die Zerstörung des idyllischen Tals zu verhindern. Doch der Junge steht nur zum Schein auf ihrer Seite.

Es war das erste Mal, dass ich mich für ein Buch interessierte, das von Liebe handelte. In der Gedankenwelt des Mädchens entdeckte ich Parallelen zu meiner eigenen. Zu der Zeit fing ich an, mich ebenfalls für Jungs zu interessieren. Ich begann aber auch zu registrieren, dass sich die Wirklichkeit in der DDR nicht mit dem deckte, was man uns in der Schule darüber beibrachte. So entdeckte ich »Wasseramsel« zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe es mehr als einmal gelesen und finde den Text und die Illustrationen heute noch ausgezeichnet.

Das Buch wurde 1990 von der DEFA verfilmt. Der Film trägt den Titel »Biologie!«. Ich habe ihn leider nie gesehen, denn zu diesem Zeitpunkt brach ich bereits in den »Weltraum« auf.

Durch Prärie und Wüste

»Der Geist des Llano Estacado« von Karl May

Mit den Pferden kamen unweigerlich die Indianer und damit Karl May. Zunächst waren es die Karl-May-Filme aus den Sechzigern, bis ich in der Bibliothek die Bücher entdeckte. Die wurden 1982 im Verlag »Neues Leben« gerade neu aufgelegt. Bis dahin war Karl May in der DDR verpönt, wenn auch nicht offiziell verboten gewesen. Er wurde halt nicht gedruckt. Eigentlich skurril, wenn man bedenkt, dass Karl May Sachse war. Man warf dem Autor, der sich ja nicht mehr wehren konnte, Rassismus vor. Wahrscheinlich aber wog die Tatsache schwerer, dass er der Lieblingsautor von Adolf Hitler gewesen war.

Der Popularität Karl Mays in der Bevölkerung tat dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, nichts ist verlockender als etwas Verbotenes oder etwas, das auf dem Index gestanden hatte. Die Bücher waren in der Bibliothek ständig verliehen. Es gab lange Wartelisten. Dafür hatte das DDR-Fernsehen die Karl-May-Filme aus der BRD entdeckt und strahlte sie regelmäßig aus. Im Ferienprogramm wurden die Filme im Kino rauf und runter gespielt. Für 50 Pfennig Eintritt pro Vorstellung sah ich mir die Filme so oft an, dass ich sie mitsprechen konnte. Daher war ich beim Lesen der Bücher anfangs irritiert, dass die Romane mit den Filmen, außer den Protagonisten, wenig gemein hatten.

Zu einem Weihnachtsfest Mitte der Achtziger bekam ich die Karl-May-Bücher von meinen Eltern geschenkt und musste nicht mehr in der Bibliothek darauf warten. Durch Beziehungen hatten sie diese in der Buchhandlung erstanden. Von da an versuchte ich, jede Ausgabe zu bekommen.

1984 erschien mit »Der Geist des Llano Estacado« eine Jugenderzählung von Karl May, die nicht verfilmt worden war.

Im Roman geht es um eine Gruppe Banditen, die unerfahrene Reisende auf dem Weg durch die mit Pfählen abgesteckte Wüste (Llano Estacado = abgesteckte Ebene) durch Versetzen der Pfähle in die Irre führen. Wenn die Reisenden entkräftet und kurz vorm Verdursten sind, werden sie ausgeraubt.
Winnetou und Old Shatterhand begleiten einen Trek von Auswanderern, um sie vor den Räubern zu schützen. Am Ende stellt sich heraus, dass der »Geist« der Anführer der Banditen ist. Er hat als Kind eine Oase entdeckt, nachdem seine Eltern im Llano ermordet wurden. Nun sinnt er auf Rache.

Es waren die detaillierten Beschreibungen der Landschaften und die ungewöhnlichen Nebencharaktere, die mich begeisterten, selbstverständlich auch die Heldenfiguren Winnetou und Old Shatterhand. Wobei ich die Indianer den Cowboys vorzog.

Ich beschäftigte mich jahrelang fast ausschließlich damit. Las neben Karl May andere Indianergeschichten, wie »Die Söhne der großen Bärin« oder »Blauvogel«. Studierte aber auch Sachbücher über die Lebensumstände echter Indianer in Nordamerika. Außerdem bastelte ich aus Leder und Perlen Kostüme, Gürtel, Messerscheiden und was man als Indianer so brauchte.

Und ich fing an, eine eigene Geschichte zu schreiben, die ich nie vollendete. Heute würde ich es Fan-Fiction zu Karl May nennen. Es waren mehrere mit Bleistift bekritzelte A4-Seiten, bei denen ich darauf achtete, dass sie keiner zu Gesicht bekam. Eine Weile versteckte ich sie deshalb im hintersten Eck auf unserer Scheune. Zum Leidwesen meiner Mutter, die sich sehr dafür interessierte, was ich denn so geschrieben hatte. Ich besitze die Blätter noch und behaupte, dass bis heute niemand außer mir ihren Inhalt kennt. Das sollte besser so bleiben.

Als ich Ende der Neunziger, bei Weltbild die nach 1990 erschienen Romane der Karl-May-Reihe aus dem Verlag »Neues Leben« als Restposten kaufte, wollte ich sie natürlich lesen. Doch ich tat mich schwer. Den Roman »Der schwarze Mustang« fing ich bestimmt drei oder viermal an, ohne über die ersten zwanzig Seiten hinauszukommen. Die Faszination von früher wollte sich nicht mehr einstellen. Ich fand die Beschreibungen langatmig und die heldenhafte Darstellung der Charaktere überzogen. Frustriert stellte ich das Buch zu den anderen ins Regal zurück. Dort stehen die vierzig Bände, teils noch eingeschweißt. Ob ich mich irgendwann davon trennen werde? Ich weiß es nicht.

»Der Geist des Llano Estacado« steht beispielhaft für all die Indianerbücher, die ich gelesen habe und die mein Leben in der Grundschule und darüber hinaus lange Zeit dominiert haben. Bücher die Inspiration für meine erste eigene Geschichte waren.

Das Roboter-Pferd aus dem Himalaya

»Silberhuf« und »Silberhuf zieht in den Krieg« von Alan Winnington

Schon als Kleinkind besaß ich viele Bilderbücher. Spätestens am Ende der ersten Klasse, als ich lesen konnten, wuchs die Anzahl Bücher im Bücherschrank exponentiell.

Ich las alles, was ich in die Finger bekam. Selbst die Sachbücher, die bei meinen Eltern im Schrank standen, waren nicht vor mir sicher. Vor allem die medizinischen Ratgeber mit den Fotos von Krankheiten hatten es mir angetan.

Leider war die Auswahl spannender Bücher in den Buchhandlungen in der DDR nicht so umfangreich und meine Eltern taten sich oft schwer, etwas Passendes für mich zu finden. Viele Romane bekam ich von Verwandten geschenkt. Ich weiß also nicht mehr genau, wie ich an »Silberhuf« von Alan Winnington gekommen bin. Ich kann mich aber gut daran erinnern, das Buch mit Inbrunst gelesen zu haben.

Vielleicht war es diese Geschichte, die den Hang zur Phantastik in mir weckte, doch noch war es nicht soweit.

Im Grunde mochte ich den Roman wegen des Pferds. Wie fast jedes Mädchen im Vorschulalter liebte ich Pferde über alles. Vielleicht war es auch genetische Veranlagung, denn mein Großvater mütterlicherseits war Schmied und betrieb bis in die Sechziger ein Fuhrgeschäft. Leider starb er kurz nach meiner Geburt, sonst hätte er mir damals wohl ein Pferd geschenkt.

So hatte ich nur meine Fantasie und die sprach auf das sprechende Pferd an, welches der amerikanischer Journalist Mike Norton und sein 14-jähriger Sohn Jack in einem verlassenen Lamakloster im Himalaya finden. Mit der Technik aus ihrem verunglückten Jeep bringen die beiden das mechanische Bronzepferd wieder zum Sprechen und Laufen. Sie erleben mit ihm allerlei Abenteuer im Hochgebirge und müssen es am Ende in einer Höhle verstecken.

Bei einem Schulausflug in die Stadtbibliothek wurde ich Mitglied. Hier entdeckte ich die Fortsetzung der Geschichte und lieh sie mir aus. In »Silberhuf zieht in den Krieg« holen Mike und Jack das Pferd aus seinem Versteck und kämpfen mit Silberhuf im Vietnamkrieg auf der Seite der Indonesier gegen die Amerikaner.

Mehr als zwanzig Jahre später konnte ich den zweiten Teil aus alten Bibliotheksbeständen erwerben. Seitdem stehen beide Bücher gemeinsam in meinem Bücherschrank.

Für diesen Text habe ich es wieder hervorgeholt und darin geschmökert. Die Geschichte und vor allem das mechanische Pferd finde ich noch heute außergewöhnlich.

Comic-Ersatz

»Das Wilhelm Busch-Album« von Wilhelm Busch

Neben den Märchen der Gebrüder Grimm, gehörten die Bildergeschichten von Wilhelm Busch zu meiner ersten Begegnung mit Literatur. Meine Großmutter mütterlicherseits hat mir immer daraus vorgelesen. Ich erinnere mich, wie mich die Zeichnungen in ihren Bann zogen. Heute würde ich sagen, sie fungierten für mich als eine Art Comic-Ersatz.

Ich wuchs unter Erwachsenen auf. Meine Eltern waren zu alt für Comic-Hefte. Geschwister hatte ich nicht und selbst Cousinen und Cousins gehörten einer anderen Generation an. So gab es bei uns daheim kein »Mosaik« – den Kult-Comic in der DDR.

Die Bildergeschichten von Wilhelm Busch faszinierten mich und ich hielt bei jeder Gelegenheit der Oma das Busch-Album unter die Nase, damit sie mir daraus vorlesen sollte. Es war ein schlichtes Taschenbuch mit grellgrünem Umschlag, in dem die populärsten Geschichten Wilhelm Buschs auf braunem Recyclingpapier abgedruckt waren. Neben der bekannten Bildergeschichte von »Max und Moritz« hörte ich gern von »Plitsch und Plum«, liebte »Hans Huckebein den Unglücksraben«, lachte über den »Bauer und sein Schwein«. Kurzum ich mochte das Buch. So sehr, dass ich es überall mit hinnahm, sogar in den Urlaub.

1980 – im Juni vor meiner Einschulung, ich war gerade sechs geworden – fuhren meine Eltern mit mir ins Vogtland. In dem Ferienheim war ich das einzige Kind, weil noch keine Sommerferien waren. Somit bekam ich die geballte Aufmerksamkeit nicht nur vom Personal, sondern auch von den andern Urlaubsgästen.

Zumeist saß ich mit den Erwachsenen nach dem Abendessen zusammen. Wie das in den Ferienheimen der DDR üblich war. An einem Abend hatte ich mein Busch-Album dabei und verkündete großspurig, dass ich daraus vorlesen wolle. Die Tischnachbarn meinten lächelnd, dass ich doch gar nicht lesen könne, weil ich noch nicht zur Schule ging. Ich war schon als Kind kommunikativ veranlagt und ließ mich nicht davon beirren. Ich schlug eine beliebige Seite auf und begann zu lesen.

Die Anwesenden machten verblüffte Gesichter. Sie fragten sich, wie eine Sechsjährige, die nie eine Schule von innen gesehen hatte, so fließend lesen konnte. Meine Eltern grinsten, weil sie wussten, dass ich die Verse aus dem Buch auswendig konnte. Sie sagten aber nichts und ließen mir meinen kleinen Auftritt.

Ob die Leute später dahinter gekommen sind, dass ich ihnen etwas vorgeflunkert hatte, kann ich nicht sagen. Aber ich kann mich deutlich daran erinnern, wie ich an dem Tisch mit dem weißen Tischtuch sitze, vor mir die Seite mit meiner Lieblingsgeschichte »Die beiden Schwestern«.

Heute bin ich mir sicher, dass das viele Vorlesen aus Büchern wie dem »Wilhelm Busch-Album« meinen Wortschatz vergrößerte und mir geholfen hat, in der Schule schneller Lesen zu lernen.

Übrigens habe ich den Beginn der Geschichte von den beiden Schwestern noch heute im Kopf:

 

»Es waren mal zwei Schwestern,

Ich weiß es noch wie gestern.

Die eine namens Adelheid

war faul und voller Eitelkeit.

Die andre, die hieß Käthchen

und war ein gutes Mädchen …«

 

Manche Dinge vergisst man eben nie mehr.