Vogelfrei

Ich kenne es nicht anders. Seit ich zurückdenke, haben wir daheim im Winter immer mehrere Vogelhäuschen im Garten stehen. Besonders am Wochenendhaus, das auf einem Berg und am Waldrand steht, herrscht immer großer Andrang. Fünf Meisenarten, Kleiber und andere seltene Singvögel kann man dort beobachten.

In dem bayrischen Dorf, in dem ich seit ein paar Jahren wohne, gibt es nur jede Menge Spatzen. Meist hocken sie in großer Zahl in der Hecke vom Nachbarn und machen einen Lärm, als wollen sie ihre Erlebnisse mit der ganzen Gegend teilen. Wenn aber jemand vorbei geht, oder wenn man in die Hände klatscht, sind sie plötzlich mucksmäuschenstill. Im Sommer sitzen sie meist auf den Dachrinnen der Häuser und liefern sich einen Wettbewerb, wer am lautesten zwitschern kann. Spätestens dann muss man beim telefonieren das Fenster zu machen, sonst versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Weil wir nah am Bach wohnen, kann man immer Sommer auch schon mal einen Eisvogel oder Wasseramseln beobachten. Nicht zu vergessen, der Kuckuck, der jedes Frühjahr die Gegend unsicher macht. Eigentlich ein gutes Zeichen, möchte man meinen. Weil ich neugierig war, welche Vögel sich hier im Winter herumtreiben, hängte ich in diesem Jahr zum ersten Mal einen Meisenknödel auf …

Der hängt nun schon seit zwei Monaten, ohne beachtet zu werden. Das gibt mir zu Denken. Es kann zwei Gründe haben. Entweder die Vögel in der Umgebung finden genügend Futter, so dass sie nicht auf das »Menschenfutter« angewiesen sind. Oder aber es gibt keine andere Vögel als Spatzen, und letztere sind nicht sonderlich scharf auf Meisenknödel. In der Tat habe ich hier noch so gut wie keine Kohlmeise gesehen, geschweige denn eine der anderen vier Meisenarten, die ich kenne. Das mag daran liegen, dass es hier weniger Wald gibt als in Thüringen, aber auch daran, dass Wiesen und Felder in der Gegend rigoros überdüngt und gespritzt werden. Keine Blumen = keine Insekten. Es verirrt sich ja kaum noch eine Fliege oder eine Mücke in die Wohnung. Von was sollen die Vögel denn leben und mit was sollen sie ihre Jungen aufziehen, wenn es keine Insekten mehr gibt.

Die verbliebenen Meisenknödel habe ich mit nach Saalfeld genommen und dort in den Kirschbaum gehängt. Keine fünf Minuten später machten sich die Meisen darüber her. Also kann es nicht an der Qualität des Futters gelegen haben. Der Meisenknödel auf der Terrasse bleibt jetzt erstmal hängen. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, dass sich vielleicht doch noch jemand findet, der daran herumpickt.

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